Das goldene Meer
sechsten Tag hatte der Sturmausläufer seine Kraft verloren. Der Wind flaute ab, wurde wärmer, das Meer beruhigte sich nur langsam, aber es wurde nicht mehr zu Wellenbergen aufgepeitscht. Keine Brecher kamen mehr über das Deck, die Liberty stampfte rollend dem Mekong-Delta zu.
Dr. Starke hatte mit Haltung den schweren Brocken geschluckt, daß Anneliese in Herberghs Kabine eingezogen war. Sie saßen sich allein im Arztzimmer gegenüber, Herbergh hatte es für seine Pflicht gehalten, Starke davon zu unterrichten.
»Gratuliere, Herr Kollege«, sagte Starke mit sarkastisch ummantelter Stimme.
»Wofür?«
»Sie haben das Rennen gewonnen.«
»Ich glaube, Fred«, sagte Herbergh ruhig, »Sie verkennen die Situation. Von einem Wettrennen in Ihrem Sinne war gar nicht die Rede.«
»Sie schläft doch bei Ihnen.«
»Ja. Eine Etage höher, über mir, in dem aufklappbaren Pullmann-Bett.«
»Ergreifend.« Starke grinste anzüglich. »Sie sollten in Ihrer Freizeit Märchen schreiben.«
»Sie wären lesbarer als Ihre Memoiren.«
Mit einer Handbewegung wischte Herbergh das brisante Thema weg. »Die Geburt bei Windstärke zehn war eine Glanznummer von Ihnen. Pitz hat es mir erzählt.«
»Johann übertreibt. Es war nicht einfach, zugegeben, der Kopf stak im Becken fest, es dehnte sich nicht mehr, und ich überlegte, ob man die Frau in diesem Zustand zu Ihnen rüberbringt für einen Kaiserschnitt – was unmöglich war bei diesen Brechern – oder ob ich eine hohe Zange ansetze und dem Kind womöglich den Kopf abreiße und es stückweise raushole. Aber es ging dann doch, mit Drücken und Würgen und Spreizen. Fred, ich war richtig stolz. Es war schließlich meine erste Geburt.«
»Das gibt es doch nicht!«
»Ich bin Internist und kein Gynäkologe. Und im Studium durften wir nur um das Bett oder im Kreißsaal herumstehen und zugucken. Später in der Klinik, habe ich Schwangere nur bei Komplikationen gesehen, die mit ihrem Zustand nichts zu tun hatten.«
»Dann haben Sie eine Meisterleistung vollbracht!« Herbergh sagte es aus tiefster Überzeugung. Welch ein hervorragender Arzt, warum ist er als Mensch bloß solch ein Widerling? »Wissen Sie, daß die Eltern den Kleinen Wilhelm taufen wollen? Wilhelm, Ihnen zu Ehren.«
»Der arme Junge. Wilhelm Thanh Phung oder so ähnlich. Er wird mich sein Leben lang verfluchen.«
»Zuerst werden Sie mal Pate, Onkel Wilhelm.«
»Ich habe es geahnt.« Dr. Starke hob theatralisch den Blick gegen die Zimmerdecke. »Die Geburt bringt doch Komplikationen mit sich.«
Zum erstenmal nach dem Sturm wurde wieder in der Küche auf dem Achterdeck gekocht. Der Holzaufbau hatte erstaunlicherweise standgehalten, wohl nur, weil vor ihm das hohe, breite Deckshaus aufragte und die schweren Brecher abfing, das ablaufende Wasser überschwemmte zwar die Küche, aber richtete keinen großen Schaden an.
Auch Kim arbeitete wieder in der Küche. Stellinger hatte sie davon abzuhalten versucht, vergeblich.
»Du bist meine Frau!« hatte er gesagt. »Meine Frau braucht keine Küche zu schrubben. Ich werde mit Xuong sprechen. Er soll ein anderes Mädchen dafür einteilen.«
»Man muß zu Ende führen, was man begonnen hat, Toam!« hatte Kim auf englisch geantwortet. »Später, in Manila oder Batangas, kann ich die Arbeit niederlegen.«
Sie hatte darauf beharrt, in der Küche zu arbeiten. »Sie werden mich verachten, wenn ich nichts mehr tue«, hatte sie gesagt, und das hatte Stellinger dann auch eingesehen.
Jetzt war der Reis aufgesetzt, die Frauen zerkleinerten die Hühner, die aus dem Kühlraum kamen, und Vu Van Chin rührte in einer Eierbrühe, als Vu Xuan Le am Eingang der Küche erschien. Er hielt sich am Türrahmen fest, federte in den Knien und glich so das Schwanken des Schiffes aus. Er wartete, bis Kim mit einem Kessel voll Hühnerklein an ihm vorbeikam, und sagte dann mit bösem Blick: »Da ist ja Kim, die Seemannshure.«
Sie antwortete nicht sofort, stellte den Kessel vor ihre Füße und fragte dann:
»Was willst du, Le?«
»Ich will dir sagen, daß du nicht mehr zu uns gehörst.«
»Ich bin eine Vietnamesin und bleibe, was ich bin.«
»Nur von außen! Nur ein Plakat! Du denkst nicht mehr wie wir.«
»Das weißt du nicht, Le.«
»Er schläft mit dir.«
»Das wolltest du auch.«
»Wir sind aus dem gleichen Volk, Kim. Er ist ein Fremder und wird immer ein Fremder bleiben. Wie du in seinem Volk nie eine Heimat finden wirst.«
»Die Heimat mußten wir verlassen, Le. Auf unserem Boot waren wir
Weitere Kostenlose Bücher