Das goldene Meer
Minister hat das klar ausgedrückt.«
»Ich weiß.« Hess blätterte wieder in seinen Akten. »Hier habe ich es, wörtlich. Auf eine Anfrage verschiedener MdBs, quer durch alle Fraktionen, hat der Minister folgendes geantwortet: ›Inzwischen haben sich die Verhältnisse in Vietnam mehr stabilisiert. Nach gesicherten Erkenntnissen kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß Rückkehrer generell politisch verfolgt werden. Es kann auch weiterhin keine Rede mehr davon sein, daß ein Leben in Vietnam aus wirtschaftlichen Gründen unzumutbar wäre. Gleichwohl ist nicht daran gedacht, vietnamesische Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. Die Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland durch ausländische Flüchtlinge und die asylpolitische Situation insgesamt müssen es aber nahelegen, von der Aufnahme weiterer Kontinentflüchtlinge abzusehen.‹«
Pappnitz nickte zustimmend und zufrieden. »Das ist doch von einer wünschenswerten Klarheit. Sie nehmen doch wohl auch an, daß der Herr Minister besser informiert ist als Sie!«
»Das bezweifle ich.« Hess beugte sich über seine Akten. »Ich weiß nicht, woher er seine ›gesicherten Erkenntnisse‹ nimmt, wenn feststeht, daß bisher über 600.000 Vietnamesen auf dem Landweg und eine halbe Million über das Meer aus diesem ›zumutbaren Land‹ geflohen sind und nie mehr in ihre Heimat zurückdürfen! Die Flucht ist endgültig. Wer dennoch heimlich zurückkehren würde, verfiele einer grausamen Gerichtsbarkeit. Insoweit stimme ich mit dem Herrn Minister überein: Es hat eine Stabilisierung gegeben – eine Stabilisierung der Schreckensherrschaft. Ich habe hier ein Memorandum zusammengestellt, daß ich dem Herrn Minister nicht nur ans Herz, sondern auch ans Gewissen legen möchte.« Hess holte einen dünnen Schnellhefter aus der Aktentasche und legte ihn vor Pappnitz auf den Tisch. Der Ministerialdirektor warf einen abweisenden Blick auf die Mappe.
»Ich werde sie dem Herrn Minister aushändigen. Nach Prüfung des Inhaltes natürlich.«
»Sie werden darin einen Artikel des Amerikaners Cliff Westigan finden, der im Lager von Hongkong – für das Hongkong übrigens von 1979 an für die vietnamesischen Boatpeople 200 Millionen Mark ausgegeben hat, ein kleiner Stadtstaat, Herr Pappnitz, 200 Millionen für aus dem Meer Gerettete, müssen wir uns da nicht schämen? – mit diesen Ärmsten der Armen gesprochen hat. Cliff Westigan schreibt: ›Die meisten dieser Menschen haben ihre Angehörigen entsetzlich leiden oder gar sterben sehen – und das direkt vor ihren Augen. Sie waren dabei, unmittelbar dabei, und darüber kommen sie nicht weg. Sie erzählen das nicht jedermann, aber wenn Sie näher mit ihnen zu tun haben, dann reden sie darüber. Und dann werden sie – Jüngere wie Ältere – mit den tiefliegenden Ängsten wieder konfrontiert, und sie haben, ganz plötzlich, noch einmal lebendig vor Augen, was sie durchgemacht haben. Das ganze Grauen erleben sie wieder und wieder – und das ist eine Last, die sie immer mitschleppen. Manche werden nicht fertig damit. … ‹ Aber der deutsche, bestens informierte Innenminister sagt: Das Leben in diesem Lande ist zumutbar.« Hess erhob sich abrupt. »Es ist nicht mehr zu sagen, Herr Ministerialdirektor.«
Auch Pappnitz erhob sich, etwas steif, er litt an Rheuma. Er nahm die Mappe mit dem Memorandum unter den Arm.
»Dieser Cliff Westigan schreibt einen tränenfördernden Stil«, sagte er maliziös, »sehr wirksam für die Yellow Press. Der Herr Minister wird sich damit beschäftigen. Noch eine letzte Frage, Herr Hess: Sie setzen Ihre Angriffe gegen die Bundesregierung fort?«
»Wenn sich nichts ändert … mit Sicherheit.«
»Das ist ein klares Wort. Sie werden von uns eine ebenso klare Antwort bekommen.«
Auf dem Rückweg nach Köln dachte Hess darüber nach, ob dieser Satz ein Versprechen oder eine Drohung gewesen war. Er entschloß sich, an eine Drohung zu glauben.
Auch wenn man sich auf der Rückfahrt nach Batangas befand, ließ die Aufmerksamkeit nicht nach. Der Ausguck blieb besetzt, mit den starken Ferngläsern wurde das Meer weiterhin beobachtet, nachts drehte sich der starke Scheinwerfer am Mast neben dem Deckhaus, um über Meilen hinweg zu signalisieren, daß hier ein Schiff fuhr, das helfen wollte und nicht wie die meisten Frachter achtlos und bewußt blind an den Flüchtlingen vorbeifahren würde.
Am frühen Morgen des Tages nach der ›Seeschlacht‹ hatte die Li berty die breite Seestraße
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