Das goldene Meer
bestens informiert durch die Botschaften in Singapur, Manila und Hongkong. Das können Sie mir glauben.«
»Dann müssen die bundesdeutschen Botschafter mit Augenklappen herumlaufen. Sonst wären Ihnen die Zahlen bekannt, die ich Ihnen vorlesen darf.« Hess schlug das dicke Aktenstück, das er aus seiner Aktentasche holte, auf. Pappnitz betrachtete die Papiere mit deutlichem Mißtrauen, als der Journalist seinen Vortrag begann. »Neben der Unberechenbarkeit des Meeres und dem Anhalten von Schiffen zur Aufnahme der Flüchtlinge fürchten sie am meisten die Begegnung mit den Piraten, die bis zu 50 Seemeilen an die Küste herankommen. Die Liberty of Sea hat bei ihrem Einsatz 134 Menschen in letzter Minute vor den Piraten retten können. Das Flüchtlingskommissariat der UNO berichtet, daß vor 132 Flüchtlingsfrauen im Alter von 11 bis 40 Jahren – 11 Jahren, Herr Ministerialdirektor! – 71 entführt und vergewaltigt wurden. Das weiß man. Rechnen wir die Dunkelziffer dazu, dann ist es die vierfache Menge. Am zweiten Weihnachtstag 1985 wurde bekannt, daß 80 Flüchtlinge vom Mekong-Delta abfuhren. Zweimal wurden sie von Piraten überfallen, 11 Frauen und Mädchen, die jüngsten, schönsten, die in den Bordellen die besten Verdienste versprachen, schleppten die Piraten weg und warfen 40 Männer in das Meer. Nur 29 erreichten die Küste von Malaysia, mehr tot als lebendig. Und die Zahl der Überfälle, der Vergewaltigungen, der Entführungen in die Bordelle, wo diese versklavten Mädchen auch deutschen Sextouristen in Thailand zur Verfügung stehen, wächst von Woche zu Woche. Und jetzt besonders, wo die Liberty of Sea zurückkehren muß, weil Deutschland sich hinter Verfahrensgrundsätzen versteckt. Ein Volk, von dem vor noch gar nicht langer Zeit, nämlich 1944 bis 1945, Millionen auf der Flucht waren, macht die Augen zu vor neuen Flüchtlingen, nur, weil sie aus Asien kommen.«
»Das ist eine völlig andere Situation gewesen, Herr Hess. Damals war Krieg.«
»Die flüchtenden Vietnamesen betrachten sich auch als Opfer eines Krieges. Warum will man das in Bonn nicht wahrhaben? Woher kommt dieser plötzliche Schulterschluß mit den Kommunisten? Und man empfindet das noch nicht mal peinlich!«
»Sie reden immer von Piraten und deren Untaten.« Pappnitz schlug die Beine übereinander. »Man könnte auch sagen: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um …«
»Das wäre erschreckend zynisch, Herr Ministerialdirektor.«
»Ich sagte: Man könnte … Aber gerade bei der Bekämpfung der Piraten wird international viel getan. Kennen Sie das ›Anti-Piracy-Program‹? Bisher hat man dafür 12,7 Millionen Dollar ausgegeben. Die Bundesregierung ist daran mit jährlich einer halben Million Mark beteiligt. Das schreiben Sie nicht!«
»Aber nur zu gern, Herr Ministerialdirektor.« Hess machte sich einige Notizen in seinen Akten, was Pappnitz mit großen Mißfallen vermerkte. »Aber was ist dabei herausgekommen? Mit den Millionen des ›Anti-Piracy-Program‹ wird so verfahren, daß zum Beispiel die thailändische Navy ein neues Patrouillenboot kaufen kann, das dann unkontrolliert irgendwo auf See herumzuckelt. Nur nicht da, wo die Piraten sind. Als man das endlich ahnte und vorschlug, die Verwendung der Millionen Dollar durch einen Botschafter-Ausschuß zu kontrollieren, machten die Regierung von Thailand und die Admiralität beleidigt dicht. Dieses Piraten-Bekämpfungsprogramm ist eine Farce, weiter nichts. Sie reizt einen Truc nur zu einem Lachanfall.«
»Wer ist Truc?« fragte Pappnitz irritiert.
»Wo bleiben Ihre Informationen aus Südostasien, Herr Ministerialdirektor? Truc Kim Phong ist der Piratenkönig vom Südchinesischen Meer.«
»Muß man den kennen?«
»Auf jeden Fall, wenn man behauptet, die Rettung der Vietnam-Flüchtlinge sei keine humanitäre Tat. Es bestehe kein Grund, Asyl zu gewähren.«
Pappnitz antwortete nicht sofort. Er dachte nach, wie er es verhindern konnte, an die Wand getrieben zu werden. »Unsere Botschafter berichten«, sagte er dann, »daß die Lage in Vietnam bewußt hochgespielt wird.«
»Steckt dahinter nicht auch unsere umsatzgeile Industrie, die Vietnam als neuen, groß aufnahmefähigen Markt entdeckt? Für eine gute Bilanz sind getötete Menschen ohne Bedeutung.«
»Sie argumentieren aus dem Bauch heraus, Herr Hess. Sehen wir von der Sicherstellung von Arbeitsplätzen einmal ab … daß Vietnam sich wirtschaftlich öffnet, ist doch ein Beweis einer Solidarisierung der Lage. Der Herr
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