Das goldene Meer
Chirurgischen, war operiert worden, ein Zervixkarzinom, viel zu spät erkannt, bereits in die Blasen- und Mastdarmwand gewuchert, Mediziner nennen das Stadium T4, die Operation war nur eine Entlastung. Dann starb die Mutter. Johann Pitz packte seine Sachen, dazu genügte ein Koffer, gab seiner Schwester Conny einen Kuß, hieb seinem Vater noch eine aufs Auge, weil er am Tage des Begräbnisses auch besoffen war – aus Kummer, wie er beteuerte – und fuhr nach Köln. Mit einem breiten Grinsen stand er am nächsten Tag im Büro von Hörlein und sagte ergreifend einfach: »Hier bin ich. Hier sind meine Papiere. Wann geht's denn los?«
In der Halle des Hilton saß er jetzt Julia Meerkatz gegenüber, starrte auf ihren Busen, stellte ihn sich befreit von allen Textilien vor und bekam einen trockenen Gaumen. Er trank schon sein drittes Bier. Ein Jahr lang mit der auf einem Schiff, Kabine an Kabine … Junge, dagegen ist ein Boxring ein Sandkasten.
»Nachdem wir uns nun alle gegenseitig beschnuppert haben«, hatte Dr. Herbergh gesagt, »möchte ich Sie, bevor Herr Hörlein kommt und uns letzte Instruktionen gibt, als Ihr medizinischer Chef begrüßen. Das mit dem Chef nehmen Sie bitte nicht so genau. Wir sind keine Uniklinik, wo der Chef gottähnliche Züge zeigt. Ich weiß, wenn ich Sie so vor mir sehe, daß wir bestens zusammenarbeiten und miteinander harmonieren werden.«
»Ohne Zweifel, Herr Chefarzt.« Dr. Starke sah dabei Anneliese Burgbach herausfordernd an. »Auch mir geht es um ungestörte Harmonie. Wir werden sie nötig haben. Was uns da draußen auf dem Meer erwartet, verlangt Nervenkraft und Kameradschaft.«
»Das ›Chef‹ bitte ich ab sofort wegzulassen.« Dr. Herbergh trank seinen Mai-Tai aus. Sofort tauchte lautlos eine der wunderhübschen Bedienerinnen auf, lächelte süß und fragte: »Noch einen Mai-Tai, Sir?«
»Für uns alle, Lotosblüte!« Dr. Starke nahm Dr. Herbergh die Bestellung ab. »Und die Blume aus deinem Haar wirfst du in mein Glas …«
Dr. Herbergh und Johann Pitz lachten, Julia Meerkatz zog einen Flunsch und blickte dem wegtrippelnden Mädchen eifersüchtig nach, Dr. Anneliese Burgbach blieb die kühl Beobachtende. Ein Schwätzer ist er, dachte sie. Ein Schwätzer und so sehr von sich selbst überzeugt, daß er noch sein Spiegelbild bewundert. Der typische Frauenvernascher, der glaubt, ein Fingerschnippen von ihm genügt, und alle Röcke fallen. Und einen unverschämten Blick hat er. Impertinente Röntgenaugen. Playboy vom Dienst. Es wird ihm einsam werden auf dem Schiff. Oder – das traue ich ihm zu – er wird sich an die Vietnammädchen heranmachen und sie eine nach der anderen verführen. Er wird nicht lange bei uns bleiben, das zeichnet sich schon ab.
»Morgen kommt der Klinik-Container an Bord«, sagte Dr. Herbergh. »Ich habe mit dem Komitee die Ausrüstung zusammengestellt und mußte vieles aus Kostengründen streichen. Aber ich konnte durchsetzen, daß wir besser ausgerüstet sind als das erste Schiff.«
Dr. Starke nippte an seinem Whisky, stellte ihn auf den Tisch zurück und wechselte das übergeschlagene Bein. Dabei zupfte er die scharfe Bügelfalte seines Anzuges über die Mitte seines Knies. »Haben wir eine Schere an Bord?« fragte er.
»Natürlich.«
»Eine Klemme, eine Pinzette, eine Nadel, etwas Nähgarn« – er sagte tatsächlich Nähgarn – »und ein paar Streifen Leukoplast … dann kommen wir über das Gröbste hinweg.«
»Wir bekommen einen mittelprächtig ausgestatteten OP und eine gutsortierte Apotheke«, antwortete Dr. Herbergh. Starkes Spott gefiel ihm nicht, wie überhaupt dessen Auftreten so gar nicht zum Bild eines Arztes paßte, der in einem Gebiet der Verfolgung und des Elends arbeiten sollte. Wollte Starke etwa beim Auffischen der Halbtoten mit weißen Handschuhen an der Reling stehen, darauf bedacht, daß kein Fleck an seinen Anzug kommt? »Sie besitzen doch auch Kenntnisse in Röntgenologie?«
»Ich habe zwei Jahre in dem Fach gearbeitet.«
»Wir bekommen sogar eine Röntgenausrüstung aufs Schiff.«
»Davon habe ich gehört. Ist das wirklich wahr? Kaum zu glauben. Du lieber Himmel, da brauche ich ja noch eine Bleischürze. Ich möchte unbedingt der Gefahr der Impotenz entgehen …« Er lachte herzlich, sah dabei Anneliese fast herausfordernd an und registrierte das leise Kichern von Julia Meerkatz.
Dr. Burgbach wandte den Kopf zur Seite und blickte in die Menge, die durch die Hotelhalle wogte. Affe, dachte sie. Mann, bist du ein Affe!
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