Das goldene Meer
haben sechs Decksmänner, einen zweiten Ingenieur und einen Koch an Bord. Und wir werden eine Menge junger Männer auffischen. Ich sehe Probleme auf uns zukommen.«
»Ich nicht.« Hörlein winkte ab. »Wir haben die Crew nach ihrem Können ausgesucht, nicht nach ihren ganz privaten Neigungen. Der Chief läßt seine Maschinen laufen – alles andere geht uns nichts an.«
»Ihr Wort in Gottes linkes Ohr.« Dr. Starke tupfte sich mit einem weißen Taschentuch über die Lippen. Deutlich sah man dabei die eingestickten Initialen WS. »Ich mache nur darauf aufmerksam, daß meiner Meinung nach die Moral an Bord mit das Wichtigste ist.«
»Sie handeln mit Moral, Herr Starke?« Zum erstenmal sprach Anneliese Burgbach ihn direkt an, und sofort war es ein Hieb.
Aber Starke steckte ihn mit einem breiten Lächeln weg.
»Sie nicht, schöne Kollegin?« fragte er zurück.
»Es gibt Differenzierungen in der Moral.«
»Interessant. Darüber müssen wir uns eingehender unterhalten. Ich dachte bisher immer: Entweder man hat sie – oder man hat sie nicht.«
»Und Sie zählen sich zu den letzteren?«
»Lebenslust und Lebensfreude sind keine Unmoral, schöne Kollegin. Und meine ganz persönliche, durchaus nicht maßgebende Einstellung: Ich mag keine Schwulen.«
»Nennen Sie mich bitte nicht immer schöne Kollegin.«
»Ich wäre ein Flegel, wenn ich Ihre Schönheit nicht preisen würde. Ich weiß, was Sie sagen wollen: Berühmte Persönlichkeiten waren Homos. Oscar Wilde oder Voltaire, André Gide oder Genet. Sänger, Schauspieler, Dirigenten, Komponisten, Schriftsteller, Virtuosen, Politiker, sogar Könige, wie unser geliebter ›Alter Fritz‹. Auch Michelangelo soll Jünglingen zugetan gewesen sein. Und zugegeben: Unser Denken hat sich gewandelt, zum Glück, der Mief ist raus aus den Stuben, wir haben ein freieres sexuelles Bewußtsein … nur ich, ich ganz persönlich, kann mit Schwulen nichts anfangen.«
»Chief Kranzenberger wird sich bestimmt nicht an Sie heranmachen«, sagte Anneliese angriffslustig. »Ein Problem wird eher sein, wie Sie die Anwesenheit hübscher Asiatinnen vertragen.«
»Danke. Das war ein tolles Kompliment.«
»Sie werden noch monatelang Zeit haben, diese Diskussion fortzusetzen!« Dr. Herbergh unterbrach ziemlich unwirsch das Rededuell. »Wir holen jetzt unsere Koffer, fahren zur Liberty zurück und beginnen mit der Arbeit. Kommen Sie noch mal mit, Herr Hörlein?«
»Ja. Ich bleibe bis zur Abfahrt an Bord und will mit anpacken. Über Radio Singapur stehen wir mit der Zentrale in Köln in Verbindung und werden den letzten Stand der Dinge erfahren.«
»Was für Dinge?« fragte Julia Meerkatz.
»Die Meinungen und Ansichten unserer Politiker, der Landesregierungen und der Bundesregierung über unser neues Unternehmen. Wir haben ein Rundschreiben verschickt und unsere neue Rettungsaktion erklärt. Bisher war die Reaktion sehr unterschiedlich. Einig ist man nur, daß man für uns kein Geld hat. Und – das ist erschütternd – daß unsere Rettung von Flüchtenden, von Piraten Beraubten und Verletzten, von Ertrinkenden und Verdurstenden nicht nötig sei! Es gäbe keine Humanitären Gründen.«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« Anneliese Burgbach starrte Hörlein fassungslos an. »Das schreibt ein deutscher Politiker?«
»Das ist die offizielle Meinung in Bonn und in einigen anderen Landeshauptstädten.« Hörlein machte eine vage Handbewegung. »Aber das ist unsere Arbeit. Ihre ist es, so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Wir werden so etwas wie der stete Tropfen sein, der den Stein höhlt. Wir werden die Weltöffentlichkeit mobilisieren.«
Eine Stunde später trafen sie sich wieder in der Halle. Die Koffer, von den Hotelboys aus den Zimmern gebracht, standen ausgerichtet nebeneinander. Und eine kleine Überraschung gab es: Dr. Starke war nicht wiederzuerkennen. Verwaschene Jeans, buntes, offenes Hemd, Tennisschuhe – ein moderner Tramp.
»Er hat für alles eine Uniform«, sagte Anneliese Burgbach leise zu Dr. Herbergh. »Wetten, daß er bei den Rettungsaktionen eine Schwimmweste mit goldenem Monogramm trägt?«
»Sie mögen den Kollegen Starke nicht?« Etwas wie verborgene Freude klang in Herberghs Stimme mit.
»Er ist in sich selbst verliebt und glaubt, die ganze Umwelt müßte es auch sein. Ich mag solche Typen nicht.«
»Aber er ist ein hervorragender Internist.«
»Das wird sich zeigen, wenn wir die ersten Flüchtlinge aufnehmen.«
Das alles lag eine ganze Weile zurück.
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