Das goldene Meer
ängstlich in sich zusammen.
Hung zog wieder brutal an ihren Haaren und spuckte ihr ins Gesicht. »Weißt du, was du bist?!« Er spuckte sie noch einmal an. »Eine Hexe! Eine vom Teufel Besessene! Eine Satanshure! Sind die Kinder wirklich von Dang, oder hat der Teufel sie dir gemacht? Man müßte dir die Hände abschlagen … nein, den Kopf! Der arme Dang hat mit einer Hexe gelebt. Heute nacht springst du über Bord ins Meer …«
»Nein, Hung! Nein! Nein!«
Ut klammerte sich an ihn, aber er stieß sie wütend weg, zerrte sie in das Labor des Hospitals und riß sie wieder an den Haaren. Sie fiel auf die Knie, Todesangst schrie aus ihren Augen, aber Hung, noch heftiger schwitzend als vorher, ließ nicht von ihr ab.
»Zuerst wirfst du die Satanskinder ins Meer!« sagte er hart, einen unerbittlichen Ton in der Stimme. »Dann springst du hinterher.«
»Nein, Hung, nein!« weinte Ut.
»Wenn du es nicht tust, machen wir's! Du gehörst nicht zu uns! Wenn der Teufel dein Geliebter ist, läßt er dich und seine Kinder über das Meer schweben. Das wollen wir sehen.«
Er gab ihr noch einen Stoß mit dem Fuß, riß sie dann vom Boden hoch und schloß die Labortür wieder auf. »Geh voraus«, befahl Hung. »Geh wie immer. Blick auf den Boden. Wenn du jemandem ein Zeichen gibst, kannst du auch früher sterben, auf chinesische Art – mit einer Schnur um den Hals. Los, geh voran.«
Ut gehorchte. Mit gesenktem Kopf ging sie vor Hung her zum Niedergang des Unterdecks und verschwand in der Tiefe. Niemand an Deck beachtete sie; die meisten standen an der Bordwand und starrten über das Meer. Hinter dem Kran, zwischen aufgespannten Zeltwänden, saßen vierzehn Männer zusammen und diskutierten mit Lam Van Xuong: Die Sprecher der Flüchtlinge, von ihnen gewählt, nachdem man beschlossen hatte, so gut wie möglich eine Eigenorganisation aufzubauen. Das Schiffsparlament. Xuong hatte man in demokratischer Wahl zum Vorsitzenden bestimmt. Nun wurde beraten, was man selbst tun konnte. Der erste Punkt dieser ersten Sitzung hieß: Verbesserung der Hygiene. Bau von neuen Toiletten. Reparatur der immer wieder versagenden Klimaanlage unter Deck. Abstimmung über den Vorschlag, daß die Kinder ab sieben Jahren bei Dr. Burgbach Deutsch lernen sollen. Ein ganzes Paket Vorschläge, über das viel zu reden war.
Hung blieb an der Treppe stehen, blickte Ut nach und preßte die Lippen aufeinander. Es muß sein, sagte er zu sich. Wir dürfen keinen Satanszauber mitnehmen in eine andere Welt. Man wird uns anklagen: Was habt ihr da mitgebracht? Warum seid ihr nicht geblieben, wo ihr herkommt? Die Menschen werden uns hassen. Es muß einfach sein …
Er ging zurück zum Kran und schob sich unter die gewählten Sprecher. Xuong redete sie höflich mit ›Liebe Delegierte‹ an. Das fanden alle ehrenhaft und freuten sich.
»Hung, wir brauchen deine Meinung!« sagte Xuong, als der Dolmetscher sich gesetzt hatte. »Sollen die Kinder Deutsch lernen?«
»Auf jeden Fall.« Hung klatschte in die Hände. »Bedenkt, Delegierte, Deutschland wird vielleicht unsere neue Heimat werden. Da ist es gut, wenn wir bei der Landung in Hamburg schon sagen können: ›Guten Tag! Wie geht es Ihnen? Schönes Wetter!‹ Das macht immer einen guten Eindruck, Delegierte.«
Für die Demonstration der Schmerzbefreiung bereiteten Pitz, Stellinger und Kroll das kleine Röntgenzimmer vor, das man durch ein Rollo völlig abdunkeln konnte. Eine Liege war vorhanden, und eigentlich brauchte Ut ja nicht mehr für ihren Trick, wie es Dr. Starke noch immer nannte. Schwierig war nur, die Video-Kamera zu installieren. Nicht daß man keinen Platz für sie fand, sondern wie sie Bilder aufnehmen sollte bei der von Ut geforderten Dunkelheit.
»Das müssen wir filmen«, sagte Stellinger bestimmt. »Sonst hat das alles keinen Sinn. Die zaubert da im Dunkeln, und wir sitzen wie die Bettnässer herum.«
»Man müßte einen Infrarot-Film haben«, sinnierte Kroll. Er war Hobby-Filmer, hatte in den Jahren seiner Seemannszeit einige fabelhafte Filme von Hawaii, Hongkong und West-Samoa gedreht, aber jetzt regte er Stellinger auf.
»Infrarot! Daran kann auch nur ein Idiot wie du denken! Wer nimmt denn Infrarot-Filme mit?«
»Keiner. Es war ja auch nur ein Gedanke. Wenn wir nur ein bißchen Licht hätten.«
»Was heißt ein bißchen?«
»So um die zehn Lux …«
Stellinger warf einen Blick auf Kroll, als wolle er ihn gleich anspringen. »Was haben zehn Luchse mit unserem Film zu tun?« brüllte er.
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