Das goldene Meer
»Ich habe kein Ohr mehr für faule Witze.«
»Lux – mit x am Ende – ist eine Helligkeitseinheit. Zehn Lux hat etwa den Schein einer Kerze.«
»Und das reicht aus?«
»Bis auf zehn Lux kann ich mit meiner Videokamera herunter, aber dann ist endgültig Sense.«
»Das heißt, eine schwache Birne genügt?«
»In der Nähe des aufzunehmenden Objekts.«
»Warum soll das nicht hinzukriegen sein? Wir werden Ut klarmachen, daß völlige Dunkelheit dem Röntgenapparat schadet …«
»So blöd ist sie nicht. Sie hat selbst schon druntergelegen«, sagte Pitz. »Bei unserer Reihenuntersuchung.«
»Und war's da dunkel?«
»Nein. Warum?«
»Na also, du Boxerbirne. Wie kann sie wissen, ob Dunkelheit für die Apparate schädlich ist oder nicht? Sie wird es glauben.«
»Aber sie braucht Dunkelheit, sagt sie.«
»Aber keine völlige Finsternis. Zehn Luchse reichen.«
»Zehn Lux … mit x …«
»Leck mich am Arsch!«
Diskussionen, die so beendet werden, zeitigen meistens einen Erfolg. Die Videokamera wurde über die Liege an die Decke montiert, Stellinger mußte Probeliegen, vom Nebenraum aus, an einem Monitor, gab Kroll die Anweisungen, die Pitz ausführen mußte. »Mehr nach rechts … halt … Kamera mehr kippen … halt, du Dussel, nicht so viel … jetzt mehr nach links … Oberbootsmann, lieg still, ich muß deinen Bauch anvisieren … Halt! So kann die Kamera bleiben. Dreh die Knebel fest …«
Stellinger schob sich von der Liege, tippte in Richtung Kroll an seine Stirn und verließ den Röntgenraum. Im Arztzimmer war nur noch Dr. Herbergh anwesend und schrieb in ein großes Berichtsbuch. »Alles fertig, Herr Doktor«, sagte Stellinger zufrieden. »Kroll kann das alles filmen. Er hat zehn Lux – mit x – zur Verfügung.«
»Sehr gut. Dann lassen wir jetzt unsere Erwartungen wachsen.«
»Das wird'n Ding, Herr Doktor. Wenn die in der Heimat erfahren, was wir hier alles an Bord haben – da stehen wir in allen Zeitungen.«
»Das tun wir sowieso. Und vielen ist das lästiger als Schnupfen oder Durchfall.«
Stellinger ging hinüber zur Küche, wo das Mittagessen ausgegeben wurde. Bandnudeln mit Gulasch. Mehr Nudeln als Fleisch. Für die Flüchtlinge ein Festessen … wie oft hatte man in einem Monat Fleisch essen können?
Kim Thu Mai kam aus der Küche, als Stellinger sie gerade betreten wollte. Sie sah ernst und verschlossen aus, aber unwirklich schön. Stellingers Herz schlug wieder Wirbel.
»Mai, ich habe dich heute noch gar nicht sehen können. So viel Arbeit. Mai … bleib doch stehen! Was ist denn?«
Kim blickte an ihm vorbei, ging weiter, als habe sie nichts gehört, verzögerte nicht einen Augenblick ihren Schritt, sondern beschleunigte ihn sogar, als sie auf dem freien Deck war.
Stellinger starrte ihr betroffen nach. »Was ist denn?« wiederholte er. »Mai … ist was passiert?« Er wollte ihr nachlaufen, aber eine kehlige Stimme hielt ihn zurück.
»Sir …«, sagte Le freundlich. Er saß auf der dicken Holzplatte, auf der er vorhin das Fleisch zu Gulasch geschnitten hatte. Das scharfe Messer stak neben ihm im Holz, es hatte kein W im Griff, es gehörte zur Flüchtlingsküche. »Suchen wir noch nach anderen Booten?«
»Wir suchen immer nach Booten. Dazu sind wir ja hier.«
»Aber fünf Tage lang haben wir keins mehr gesehen.«
»Das macht uns alle unruhig. Zwischen dem Mekong und uns muß ein Riegel von Kontrollbooten liegen.«
»Keine Regierungsboote, Sir.«
»Wer sonst?«
»Truc Kim Phong.«
»Diese Piratensau?«
»Er fängt alles ab. Er ist schnell und unsichtbar.«
»Danke.« Stellinger war sauer. »Unsichtbar. Ich hab' die Nase voll von euren Wundern.«
Le lächelte, als Stellinger zurück zum Deckshaus stampfte. Kim war längst unter Deck verschwunden – er hatte ihn geschickt daran gehindert, ihr nachzulaufen. So einfach war es, die Weißen abzulenken. Unbesiegbar klug kamen sie sich vor, und waren doch so dumm. Zwei Weltmächte hatte Vietnam besiegt: Frankreich mit der katastrophalen Niederlage in Dien Bien Puh und das mächtige Amerika mit einem gnadenlosen Partisanenkampf, bis es sich aus Vietnam zurückzog, beschämt vor der ganzen Welt. Warum sollten die Deutschen anders sein? Auch sie sind nur Fleisch und Knochen, und ein gutes Wurfmesser trifft auch sie. Er sprang von dem dicken Holztisch, zog das Messer aus der Platte, warf es in eine Schublade und griff mit zu, als zwei Mann einen schweren Nudelkessel wegschleppten zu den Wohnräumen unter Deck.
Im Speiseraum
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