Das goldene Meer
verstummte das Gespräch, als der Funker Buchs, ein Kölner, plötzlich sagte: »Isch kann mir nit hälfe, äwwer da hat einer an meine Apparate rumjefummelt …«
»Wieso?« Kapitän Larsson legte den Löffel hin. »Was heißt fummeln?«
»In der Nacht stelle ich den Empfang auf den Schreiber um. Wenn was reinkommt, ist es in der Maschine.« Buchs bemühte sich, ein reines Hochdeutsch zu sprechen, das Larsson mühsam verstand. »Äwwer do wor'n Lück … Sturmwarnung bei Hainandao … dann nix … und dann widder en Funkspruch aus Singapur. Dat jittet nit …«
»Sprechen Sie vernünftig, Buchs.« Larsson schüttelte den Kopf. Er verstand nur die Hälfte.
»Das gibt es nicht, Herr Kapitän«, übersetzte Buchs sein Kölsch. »Da muß jemand den Schreiber abgestellt haben – und später wieder an.«
»Aber warum denn?«
»Um Funksprüche loszuwerden.«
»Lothar, du hast 'n Tick«, sagte Stellinger. »Wer soll denn von uns funken? Wer versteht denn was davon? Und wohin und was soll er funken? Warum heimlich? Jeder von uns kann doch zu dir kommen und sagen: ›Lothar, gib das mal nach Singapur durch zur Weiterleitung nach Essen.‹ Dann nickst du und antwortest: ›In Ordnung. Laß es hier. In einem halben Jahr.‹«
Das Gelächter rund um den Tisch beeindruckte Buchs in keiner Weise. Als sich die Fröhlichkeit gelegt hatte, sagte er stur: »Was ich sehen kann, lacht ihr mir nicht weg. Jestern hat ne Unbekannter unsere Funkanlage benutzt. Dafür laß isch mich fresse …«
»Was besser schmeckt als dieses Labskaus!« rief Stellinger. »Lothar, ab heute schläfst du neben deinen Apparaten.«
»Worauf du dich verlassen kannst. Da jeht mir keiner mehr dran.« Er blickte über den Tisch und vermied es, die Ärzte anzusehen. »Wer et jewesen ist, kann nachher zu mir kommen. Ejal, wer dat is. Isch will nur wissen, ob isch mich jeirrt hab' oder nich …«
Als sie vom Tisch aufstanden, hatten sie den kleinen Zwischenfall schon vergessen. Der Lothar spinnt, dachte nur noch Pitz. Von uns hat keiner eine Ahnung, wie man die Kästen überhaupt bedient. Und Geheimnisse hat niemand von uns hinauszufunken.
Im Hospital warteten die Ärzte, Stellinger, Kroll, der Video-Verantwortliche, Pitz und Kätzchen auf Uts Erscheinen.
Zuerst kam Thuy in das Zimmer, der Todkranke mit dem Magenkrebs. Verschrumpelt, nur noch ein mit Haut überzogenes Gerippe, auf nackten Füßen tapsend, bekleidet mit einer viel zu weiten Baumwollhose und einem Hemd aus der Kleiderkammer der Liberty. Die Plastiksandalen, die jeder an Bord trug, konnte er nicht tragen … die Füße waren zu breit. Sein schütteres Haar stand an einigen Stellen hoch, als stände es unter Strom. Ein uralter Mann, aber in der Kartei stand: Alter ca. 42 Jahre nach eigenen Angaben, v. Starkenburg stützte ihn, aber er hätte auch allein gehen können.
»Hat er gegessen?« fragte Dr. Herbergh. Das jammervolle Bild dieses rätselhaften, noch lebenden Menschen ließ auch ihn nicht kalt.
»Und wie!« v. Starkenburg war sichtbar beeindruckt. »Zwei Schüsseln Nudeln mit Gulasch. Ich weiß nicht, wo der das läßt.«
»Das wissen wir alle nicht.« Dr. Starke trat an Thuy heran und hob ihm das Hemd hoch. Unter den Rippen wölbte sich, ballonartig gegenüber der sonstigen Knochigkeit, der Magen hervor. Fassungslos blickte Starke in das lächelnde Gesicht von Thuy. »Seht euch das an! Vollgefressener geht's nicht mehr. Und das bei einem inkurablen Ca?! Das gibt es nicht. Wir haben die falsche Diagnose gestellt. Wir sollten den Kerl noch einmal durchuntersuchen, völlig umstülpen.«
v. Starkenburg ließ Thuy los. Der Kranke stützte sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte, sein bisher lächelndes Gesicht verzog sich, schrumpfte noch mehr, und der Mund verzerrte sich zu einer Grimasse.
»Ut«, stammelte er. »Ut …«
»Es geht los.« Anneliese stieß die Tür zum Röntgenraum auf, zusammen mit v. Starkenburg führten sie Thuy zu der Liege und halfen ihm, sich hinzulegen. Die erste grauenhafte Schmerzwelle ergriff ihn. Er stöhnte, krümmte die Beine und krallte die Hände in seine Hosenbeine. »Ut kommt sofort«, sagte Anneliese. »Jeden Augenblick muß sie kommen.«
Thuy verstand sie nicht, er konnte kein Englisch. Er gehörte zu den Millionen Analphabeten aus dem weiten Mekong-Delta. Sein Neffe hatte ihn auf die Flucht mitgenommen, der gute Bui. Bei dem Angriff von Trucs Kaperkahn, den man abwehren konnte, war Bui ins Meer gefallen und ertrunken. Er konnte nicht
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