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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Hahn aufdrehte und Hände und Unterarme in den Wasserstrahl hielt. Auch den Kopf hielt sie darunter und ließ sich das kalte Wasser über den Nacken laufen.
    Dr. Herbergh richtete sich auf. »Das war eine Sternstunde, meine Damen und Herren. Wir haben in eine uns unbekannte und uns verschlossen bleibende Welt blicken können. Jetzt ist der Vorhang wieder gefallen. Versuchen wir keine Erklärungen – es gibt keine. Wir werden das nie begreifen. Sind Sie überzeugt worden, Wilhelm?«
    Dr. Starke hob etwas hilflos die Schultern. »Ich habe etwas gesehen, was sich meiner Beurteilung entzieht.«
    »Das ist keine indische Gauklerin«, warf Anneliese ein.
    »Auf gar keinen Fall. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, Kollegin. Aber warten Sie mal ab, wenn bei dem Kranken der Verdauvorgang beginnt. Das Essen ist noch nicht verarbeitet. Wie Thuy das überstehen will …«
    Die Tür des Röntgenraums flog auf. Ut kam heraus, sehr bleich, wie um ein Jahrzehnt gealtert, sich nur noch mühsam auf den Beinen haltend. Sie stützte sich auf die Tischkante und sah Hung mit zitternden Augen an. »Ich möchte schlafen«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ich muß schlafen.«
    »Sie will schlafen«, übersetzte Hung. »Ich bringe sie zurück zu ihrem Lager.«
    »Ich will hier schlafen«, sagte sie. Hung übersetzte das nicht und griff nach ihrer Hand. Mit einem Ruck riß Ut sich los.
    »Hier!« sagte sie auf deutsch. »Hiiierr –«
    »Sie will hier schlafen.« Anneliese legte den Arm um ihre Schulter. »Natürlich kann sie hier schlafen. Julia, bringen Sie sie auf Ihre Station.«
    Mit starrem Gesicht, aber völlig ausgeschaltet, mußte Hung zusehen, wie man Ut fortführte in die Sicherheit. Im Hospital war es nicht möglich, sie ungesehen zu töten. Aber es waren ja noch viele Tage, die man auf dem Schiff zusammenblieb. Es waren Jahre vor ihnen, irgendwo in einem fremden Land, das eine neue Heimat werden sollte. Was spielen Tage, Wochen, Monate für eine Rolle? Zeit ist ein Begriff der Weißen, dem sie sich unterordnen, der sie tyrannisiert, den sie anbeten. Zeit … Hung schürzte die Lippen und ging hinaus auf Deck. Wenn wir so viel von allem hätten wie Zeit. Ut würde nicht ein halbes Jahr im Hospital bleiben, und wenn … Auch für Hexen gab es keine Zeit. Der Teufel hatte keinen Kalender.
    Nachdem Julia die völlig erschöpfte Ut weggeführt hatte, traten die anderen an die Liege mit dem schlafenden Thuy. Er lächelte, sein Gesicht war entspannt, seine lederne Haut fühlte sich kühl an.
    »Das gibt es nicht«, sagte Dr. Starke mit wirklicher Erschütterung. »Sehen Sie sich den Magen an. Kein Ballon mehr – eingefallen wie vor dem Essen. Nudeln und Gulasch sind weg!«
    Dr. Herbergh beugte sich über Thuy und drückte seinen Magen ab. Thuy schlief weiter und lächelte. Er spürte keine Schmerzen mehr, wo jeder andere Mensch aufgebrüllt hätte. »Sehen Sie selbst nach, Wilhelm«, sagte Herbergh und richtete sich auf. »Wenn ich darüber einen Aufsatz in ›Medizin der Zukunft‹ schreibe, schlägt man mir das Manuskript um die Ohren oder empfiehlt mir einen Sanatoriumsaufenthalt. Prüfen Sie selbst nach, Wilhelm.«
    Dr. Starke drückte auch den Magen ab, stärker als Herbergh, provozierend hart. Thuy schlief weiter. Kein Schmerz riß ihn empor. »Der Tumor ist deutlich tastbar. Ein Mordsding«, sagte Dr. Starke. »Aber kaum ein Mageninhalt, ein Essensrest. Das ist mehr als Zauberei. Ut kann nicht nur die Schmerzen wegwerfen, sondern kann auch einen Mageninhalt entmaterialisieren und in die Luft schleudern.« Er schnellte hoch und sah Herbergh und Anneliese an. »Nun sagt doch was! Fred …«
    »Ich fange an, wirklich an eine Art von Wunder zu glauben. Nach der alten Weisheit: Was man nicht begreift, ist ein Wunder. Wo unser Denken aufhört, wird es göttlich.«
    »Und Sie, Anneliese?«
    »Erwarten Sie eine Antwort? Ich habe keine.«
    »Wir nehmen das also einfach hin?«
    »Was bleibt uns anderes übrig, Wilhelm?«
    Dr. Herbergh schaltete den Monitor aus, als sie wieder im Untersuchungszimmer waren, und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Jetzt einen Cognac.«
    »Für uns alle! Cognac und einen starken Kaffee.« Dr. Starke lehnte sich gegen die weiße Kunststoffwand. »Johann, gehen Sie zu Winter und bestellen das. Starker Kaffee heißt: Wie der Mokka im Negresco, das versteht er sofort.«
    Pitz rannte hinaus, Kroll montierte seine Videokamera und das Richtmikrofon ab, Stellinger stand herum wie vergessen, v. Starkenburg

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