Das goldene Meer
hatte. »Zwei abgeschnittene Titten und ein durchtrennter Hals, dabei trinkt man morgens Kaffee und mampft sein Brötchen und sagt höchstens gelangweilt: ›Da sieht man es wieder, diese Asiaten!‹ Und Schluß ist damit, umblättern, nächste Seite, der Sport. Kinder, war das gestern ein Fußballspiel! FC Dicke Hose gegen TUS Stiefelglanz. Da hat der Siggi Popo tatsächlich zwei Elfmeter gehalten. Toller Bursche, sag' ich euch, der muß in die Nationalelf.« Kranzenberger klopfte Stellinger väterlich auf die Schulter. »Vergiß es, Franz. Wir ändern die Welt nicht mehr. Warum soll sie sich auch ändern? Sie war immer so, nur Namen, Orte und Daten wechseln. Im Mittelalter hat man heißes Pech auf die Menschen geschüttet, während der Inquisition wurden die Hexen verbrannt, die Hexenmeister gestreckt, gepfählt und gevierteilt, heute mordet man schneller, sicherer, automatischer, mit Raketen und Atombomben oder auch nur mit einem Messer, wie Truc Kim Phong. Und da willst du noch einen Heilsapostel spielen? Sei doch nicht so blöd, Franz!«
Kranzenberger wandte sich ab und ging hinüber zum Deckshaus. Nach einigem Zögern wollte ihm Stellinger folgen, aber da sah er Kim aus dem Niedergang kommen und blieb stehen.
»Mai –«, sagte er, als sie an ihm vorbeiging, und faßte sie am Arm. »Hat man dir schon erzählt, was passiert ist?«
»Ja. Le hat es überall erzählt. Wir alle haben Angst.«
»Hier auf dem Schiff seid ihr sicher.«
»Wir sind erst sicher, wenn wir in einem anderen Land sind. Aber wer will uns haben?«
»Das wird bald entschieden werden. Die Verhandlungen laufen seit langem.« Stellinger atmete tief durch. Wie schön sie ist, dachte er. Und in einem Sammellager auf den Philippinen soll sie monatelang warten, bis die Beamten eines Staates, der sie aufnehmen will, endlich die Einreisepapiere ausgestellt haben. Und wo wird sie hinkommen, wie wird sie leben, womit wird sie ihr tägliches Leben verdienen, wem wird sie in die Hände fallen, wer wird sie einmal in sein Bett holen? Vor allem der letzte Gedanke peinigte Stellinger geradezu schmerzhaft. »Wo möchtest du leben?« fragte er und schluckte mehrmals.
»In Deutschland«, antwortete sie ohne Nachdenken.
»Warum?«
»In Deutschland leben gute Menschen.«
»Das denkst du nur, Mai. Wir sind nicht anders als die anderen Menschen.«
»Dr. Herbergh ist anders, Dr. Burgbach ist anders, Offizier Büchler ist anders, Mr. Kroll ist anders, Mr. Pitz ist anders, und du bist anders.« Sie zeigte auf den Küchenbau und befreite sich aus Stellingers Griff. »Ich muß arbeiten, Toam.«
»Wann bringst du mir wieder Vietnamesisch bei?«
»Erst ich Deutsch.« Kim Thu Mai machte ein ernstes Gesicht. Bisher hatten sie in einem mühsamen Englisch miteinander gesprochen. »Isch binn einn Schafff.«
»Du meine Güte!«
»Guttt?«
»Wo hast du denn das her, Mai?«
»Aus einem Buch, das mir Miss Julia geliehen hat.« Sie lächelte wieder mit allem Zauber ihrer exotischen Schönheit. »Deitschess Buccch …«
»Und da steht das drin?«
»Ja. Ich habe es auswendig gelernt.«
»Weißt du, was es bedeutet?«
»Nein. Sag es mir.«
»Es heißt: Du bist das wunderbarste Mädchen …«
»Du lachst über mich.« Sie warf den Kopf in den Nacken und rannte über das Deck zum Küchenaufbau. Fritz Kroll kam vom Deckshaus, um den Außenbordmotor des Schlauchbootes wieder mit einer Kunststoffplane abzudecken. In seinem Gesicht lag noch das Entsetzen der vergangenen Stunden.
»Warum rennt sie weg?« fragte er und sah Kim nach. »Du mußt sie nicht immer erschrecken, laß deine Hose zu.«
»Rindvieh!« Stellinger warf noch einen Blick über das dunstige Meer und ging dann hinüber zum Deckshaus. Dort traf er auf Julia, die auf einem Hocker saß und Luft holte. Ihr Puppengesicht wirkte fahl und zerknautscht. »Auch dem Kotzen nahe, Kätzchen?« fragte er.
»Bin nahe davor. Der Chef hat Fotos machen lassen.« Sie holte tief Atem und schloß die Augen. »Franz, so was hält man nicht für möglich. Man soll bloß nicht sagen, das sind keine Menschen mehr, sondern Tiere. Das wäre eine Beleidigung der Tiere. Nein, zu so etwas ist nur der Mensch fähig!«
»Philosophie ist nicht dein Fach, Kätzchen.« Stellinger strich ihr über die weißblonden Haare. »Du denkst über Dinge nach, die längst ein alter Hut sind. Seit es Menschen gibt, sind es die mörderischsten Wesen auf dieser Erde. In Manila flieg ich übrigens von Bord.«
»Wer sagt denn das?!«
»Der Käpt'n.
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