Das goldene Meer
westliche Welt ist übersättigt. Der Hilferuf der Ärmsten in weiter Ferne wird mit einem sauren Rülpsen beantwortet. Was wir hier im Südchinesischen Meer tun, ist ja fast eine Beleidigung der verfetteten Humanität.« Dr. Herbergh wischte sich mit beiden Händen über die Augen. »Ich habe nicht angerufen, um Polemik zu machen. Ich habe eine Frage.«
»Und die wäre?«
»Kann man Kapitän Larsson auswechseln gegen einen deutschen Kapitän?«
»Kaum. Was ist mit Larsson los?«
»Das ist ein sturer Hund!« rief Stellinger dazwischen. Bisher hatten Anneliese und er dem Gespräch gelauscht wie einem spannenden Hörspiel.
»Wer war das?« fragte Hörlein.
»Stellinger.« Dr. Herbergh winkte ab, als Stellinger wieder etwas rufen wollte. »Larsson ist ein hervorragender Seemann, ich könnte mir keinen besseren wünschen, aber es kommt immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten. Die Begegnung mit Truc hat uns gezeigt, daß wir näher ans Mekong-Delta müssen, daß wir hinter Truc kreuzen und er dadurch viele Flüchtlinge abfängt. Wir müssen also vor ihm liegen, unmittelbar an der Grenze des internationalen Gewässers. Wir müssen die Flüchtlinge aufnehmen, bevor Truc sie sieht.«
»Und Larsson macht da nicht mit?«
»Wir haben noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Aber ich befürchte, daß es Schwierigkeiten geben wird.«
»Ihr bleibt doch außerhalb der nationalen Zone.«
»Larsson befürchtet, daß Truc uns beschießen wird.«
»Beschießen? Das wäre ein internationaler Skandal!«
»Das wäre im höchsten Falle eine dicke Schlagzeile in der Presse und eine Bildmeldung im Fernsehen. Weiter geschieht nichts. Wenn wir Idealidioten so dämlich sind, uns mit Piraten einzulassen, ist das allenfalls ein Romanstoff für einen Trivialschreiber, aber keine politische Konfrontation.«
»Richtig! Und trotzdem willst du näher ans Mekong-Delta.«
»Truc – ich wiederhole es – fängt uns sonst eine Reihe Boote ab. Er hat uns demonstriert, was er mit den Flüchtlingen tut: Die Männer tötet er, die Kinder auch, die Frauen verkauft er in Thailand an Bordelle. Warum er diese junge Frau so unbeschreiblich mißhandelt hat, weiß ich nicht. Vielleicht wirklich nur, um uns zu zeigen, wozu er fähig ist. Stellinger wollte Larsson sogar zwingen, Trucs Yacht zu rammen.«
»Um Himmels willen – nein!« Hörleins Stimme überschlug sich fast. »Das wäre genau das, was unsere Gegner brauchen! Kein Krieg gegen die Piraten, nur Rettung der Flüchtlinge!«
»Es ist verdammt schwer, Albert, besonnen zu bleiben, wenn man das hier sieht.«
»Ich glaube es. Aber wir können nur mit den Zähnen knirschen, alles andere wird als Knüppel gegen uns verwandt. Mir reicht hier der Kampf gegen die Behörden. Spöttisch heißt es hier schon: Die Liberty scheitert an ihren Erfolgen. Sie rettet Menschen, die keiner haben will. Und genauso denkt man auch in Bonn.« Hörlein machte eine Pause. Selbst über die Entfernung von 9.000 km hinweg klang es so, als trinke er etwas. Dr. Herbergh blickte hinüber zu Anneliese und Stellinger. In ihren Gesichtern spiegelte sich Betretenheit.
»Wie nahe wollt ihr an das Mekong-Delta ran?« erklang Hörleins Stimme wieder.
»Ich dachte an fünfzig Seemeilen.«
»Und da operiert Truc nicht?«
»Truc ist überall. Er taucht plötzlich auf und ist ebenso schnell wieder weg. Du hast sein neues Schiff nicht gesehen. Eine schnelle Yacht, die 30 Knoten läuft. Damit rennt er jedem davon. Truc auszuschalten, ist völlig unmöglich, das könnte nur die Marine von Vietnam oder Thailand tun, und die haben kein Interesse daran. Nein, wir müssen nahe an die Küste heran, damit die Flüchtlinge mit ihren seeuntüchtigen, flachen Flußbooten nicht länger als zwei Tage auf See sind. Außerdem ist ein Taifun im Anmarsch auf das Südchinesische Meer.«
»Auch das noch! Wenn du es für notwendig hältst, Fred, geh also näher an die Küste.«
»Das solltest du Larsson durchgeben.«
»Ich schicke morgen früh ein Funktelegramm.« Hörlein schwieg wieder. »Weißt du, was unser Satellitengespräch kostet?« fragte er dann. »Dafür kannst du in Singapur eine Menge Proviant kaufen.«
»Es war sein Geld wert, Albert. Viel Glück bei der Suche nach Aufnahmeplätzen.«
»Ich kann's brauchen, Fred. Aber an Glück glaube ich nicht, wir müssen hier die Schädel und die Herzen aufbrechen, und das ist eine verdammt harte Arbeit. Macht's gut!«
»Danke. Noch etwas.« Dr. Herbergh sah Stellinger an, der mit beiden
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