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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dr. Herbergh die schrecklich zugerichtete Leiche der jungen Frau untersuchte und Dr. Starke die grauenerregenden Fotos machte. Neun Kranke oder Verletzte lagen in den Betten und hörten von draußen das Geschrei. Sie wußten nicht, was da vor sich ging, aber voller Angst verkrochen sie sich unter ihre Decken, als Xuong die Türen aufriß.
    »Keine Sorge!« rief er in die Zimmer. »Ihr seid alle sicher auf diesem Schiff. Niemand wird es wagen, uns anzugreifen.«
    Ut saß in ihrem Zimmer am Bullauge und starrte auf Trucs weiße Yacht, die schnell an ihr vorbeizog. Als die Tür klappte, fuhr sie herum, sah zuerst Hung und hob abwehrend beide Hände. Doch bevor sie um Hilfe schreien konnte, erkannte sie hinter dem Dicken das Gesicht Xuongs. Aufatmend fiel sie in sich zusammen, ein kleines, armseliges Bündel Mensch, eine zierliche Puppe, mit Lumpen bekleidet, ein Kind, das selbst schon drei Kinder hatte.
    »Komm mit und hol deine Kinder«, sagte Xuong und schob Hung zur Seite. »Dein Sohn Ngoc ist voller Mißtrauen. Er will nur mit dir gehen. Du hast einen tapferen Sohn, Ut. Du kannst stolz auf ihn sein. Er wird einmal sein schweres Leben durchstehen und ein harter Mann werden.«
    »Was will Hung hier?« fragte Ut, ohne sich vom Stuhl zu rühren.
    »Er kommt mit, damit er nicht allein bei den Kindern bleibt. Du brauchst keine Angst mehr vor ihm zu haben.«
    »Das hat sie nie gebraucht.« Hung schüttelte den Kopf mit einem schleimigen Lächeln. Dabei faltete er die Hände über seinen hervorquellenden Bauch und musterte Ut mit einem Blick, der anderes aussagte als seine Worte. Es war ein harter, glitzernder Blick. »Sie hat mich nur falsch verstanden.«
    »Komm.« Xuong streckte Ut seine Hand hin. »Holen wir deine Kinder.«
    »Muß ich wieder mit zurück?« fragte Hung.
    »Nein. Du kannst gehen, wohin du willst.«
    Im Lagerraum hockten Ngoc und seine beiden Schwestern noch immer an der Wand, eng zusammengedrückt und voller Angst wartend. Als sie Ut an der Tür sahen, ließ Ngoc seine Schwestern los und erhob sich. Er kam seiner Mutter entgegen, verbeugte sich und sagte: »Es ist alles in Ordnung. Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe Hung in die Hand gebissen.« Und dann, zu Xuong gewandt: »Ich danke dir, Lehrer. Du hast dein Wort gehalten.« Und plötzlich verließ ihn die männliche Haltung, er wurde wieder ein Kind, stürzte auf Ut zu und verbarg seinen Kopf an ihrer Brust. Erst da weinte er, und es war das winselnde, helle Weinen eines zehnjährigen Jungen, der in der Not ein Mann geworden war.
    Im Hospital wartete schon Julia Meerkatz auf sie. Nach dem Schock, der jedem in den Gliedern lag, der die Leiche hatte sehen müssen, hatte sie Ut abholen wollen. Aber das Bett war leer, und sie hatte sofort mit Dr. Starke telefoniert, der noch im Chefzimmer bei Dr. Herbergh war.
    »Ut ist weg.«
    »Weit kann sie nicht sein.« Dr. Starke lachte etwas gequält. »Das Schiff ist nur 123 Meter lang.«
    »Durch dumme Witze kommt sie nicht wieder«, sagte Julia schnippisch.
    »Aber sie geht auch nicht verloren.«
    »Trotzdem sollten wir sie suchen. Wenn sie in Gefahr ist, wie sie behauptet …«
    »Kätzchen«, sagte Dr. Starke in seiner arroganten Art. »Ich habe jetzt andere Bedürfnisse, als eine Vietnamesin zu suchen. Ich sehne mich nach Schnaps und einem sinnlosen Besäufnis. Hast du die Tote überhaupt richtig angesehen?«
    »Natürlich. Ich stand doch neben dir.«
    »Und bist trotzdem noch munter? Himmel, bist du ein hartgesottenes Luder.«
    Wütend legte Julia auf. Es war niemand da, den sie nun fragen konnte. Auch Johann Pitz war bei den Ärzten, Stellinger, der sonst immer einen Rat wußte, war auf die Brücke gelaufen, auf Deck pfiffen, fluchten, drohten und schrien die Vietnamesen noch immer hinter Trucs Yacht her.
    Julia atmete hörbar und sichtbar auf, als Xuong jetzt hereinkam und hinter ihm Ut und ihre drei Kinder. Der Junge führte seine zwei kleinen Schwestern an der Hand und sah sich neugierig nach allen Seiten um. Noch nie hatte er ein weiß bezogenes Bett gesehen, einen so sauberen Raum, ein weiß lackiertes Bettgestell, einen weiß emaillierten Nachtschrank, ein chromblitzendes Gestänge, das wie ein Galgen aussah und an dem ein dreieckiger Handgriff an einem Band baumelte. Noch nie hatte er auf einem so blanken, glatten Boden gestanden, in dem man sich fast spiegeln konnte, und geradezu ehrfürchtig und zögernd strich er mit der kleinen Hand schnell über den glatten Sitz des Plastikstuhls, der gleich

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