Das goldene Meer
zurück?«
»Nein.«
»Wo bleibt sie dann?«
»Im Hospital.«
»Als Schmerzmittel mit zwei Beinen?« Es sollte nach dickem Spott klingen, aber Xuong nickte ein paarmal. Verblüfft nahm Hung die Bestätigung hin und wußte darauf keine Antwort. Er hob lauschend den Kopf. Von Deck klang ein vielstimmiger Schrei bis hier nach unten, ein Aufbrüllen, das wieder Angst durch seinen Körper jagte.
War Truc auf dem Schiff? Enterten seine Piraten die Liberty? Warum hörte man kein Schießen? Warum schrien die Menschen bloß? Hungs Arm fuhr zitternd nach oben.
»An Deck geschieht etwas, Xuong. Sie schreien alle. Laß mich nachsehen. Was geschieht mit uns, wenn Truc das Schiff besetzt?«
»Wir werden alle getötet. Die Männer, die Kinder, die alten Frauen, du und auch ich. Was willst du oben? Wohin willst du fliehen?«
Über ihnen begann ein wildes Getrampel. Es waren die Minuten, in denen die tote junge Frau an Bord gehievt wurde und alle anderen Frauen auf Deck von den Männern weggescheucht wurden. Einige kamen jetzt nach unten, rannten durch die Schlafsäle, klagten und jammerten oder setzten sich apathisch auf ihre Schlafmatten und starrten stumm vor sich hin.
»Ist Truc an Bord?« schrie Hung. Die Angst würgte ihn, sein Aufschrei kam wie aus einem blechernen Trichter. »Ihr Weiber, nun sagt doch was!«
Die Frauen schwiegen. Nur eine sagte weinend: »Sie töten … töten …«
Hungs Gesicht zerfloß in nacktem Entsetzen. Er lehnte sich an die Wand und umfaßte mit beiden Händen seinen Kopf.
»Sie töten …«, stammelte er. »Xuong … laß mich gehen.«
»Wohin?«
»Ich muß Truc erklären, daß ich nur ein Dolmetscher bin. Ich habe nichts zu tun mit den Flüchtlingen. Ich bin keiner von den Boatpeople …«
»Aber du verdienst daran. Ein mieses, dickes, dreckiges, feiges Schwein bist du, Hung.«
»Sollte ich mich in eine Ecke legen und verhungern?«
»Das kann lange dauern, bis du dich aufgefressen hast.«
»Als man mir diesen Job anbot, habe ich vor Glück geweint. Ich war in Singapur, und da redete man so viel von einem deutschen Schiff, das draußen zwischen den Inseln umgebaut wurde. Und man erzählte sich, es sei ein ganz besonderes Schiff, Ärzte würden an Bord kommen, und es würde nach Vietnam fahren. Da habe ich mich eines Tages hinausbringen lassen zu dem Schiff und habe gefragt, ob man einen Dolmetscher brauche. ›Was können Sie?‹ hat man mich gefragt. So höflich war man zu mir. Und ich habe geantwortet: ›Sir, ich kann Englisch und 17 vietnamesische Dialekte.‹ Das war gelogen, ich kann nur zehn, aber welcher Deutsche kann das nachprüfen? Sie haben mich sofort genommen, ich hatte gute Papiere, Zeugnisse, Empfehlungen.«
»Vom wem?«
»Von vier Konsulaten, einer großen Exportfirma, einem landwirtschaftlichen Kombinat und einer Werft, mein letztes Geld ging damit weg. Sie waren gefälscht.« Hung lauschte nach oben. Geisterhaft still war es an Deck. »Es … es ist so still …« stammelte Hung und klebte wie ein riesiger Klumpen Fett an der Wand. »So unheimlich still. Sind sie schon alle tot? Kommen sie jetzt herunter zu uns?! Xuong, ich will mich verstecken. Laß mich gehen.«
»Du gehst mit mir.« Xuong hatte plötzlich ein Klappmesser in der Hand, die Klinge schnellte hoch, so schnell geschah das alles, daß Hung fassungslos auf das Messer starrte. Er hatte nicht gesehen, daß Xuong in eine Tasche gegriffen hatte.
»Wohin?« stammelte er.
»Nach oben.«
»Dort ist Truc!« schrie Hung auf. »Wenn wir uns verstecken, können wir überleben. Ich kenne die Liberty bis in den letzten Winkel. Ich weiß, wo man uns nie finden wird. Es gibt da am Bug, unterm Anker, einen Verschlag, den keiner kennt. Truc kann nicht das ganze Schiff durchsuchen, dazu hat er keine Zeit, wenn er alle getötet hat, wird er es treiben lassen, ein Schiff mit über zweihundert Toten. Irgendwann wird es dann gefunden werden. Aber wir leben, Xuong, wir haben dann alles für uns allein, die ganzen Vorräte, das Frischwasser, Fleisch, getrocknete Fische, Gemüsedosen, Nudeln, Reis …« Er sah hinunter zu den drei zusammengekrochenen Kindern und zeigte mit zitternder Hand auf sie. »Sie nehmen wir auch mit, Xuong. Warum laufen wir nicht? Du kannst Uts Kinder retten – und dich auch!«
»Wir gehen an Deck!« sagte Xuong unbeeindruckt. »Interessant, dein Versteck! Wolltest du dort Ut und die Kinder verschwinden lassen? Abwarten, wann man sie ungesehen töten kann?«
»Lehrer, du sagst schreckliche
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