Das goldene Meer
neben der Tür stand. Für ihn war es ein Zauberland, in das er plötzlich gekommen war; mit weiten Augen sah er Julia an, die in ihrem weißen Kittel und mit ihren blonden Haaren genau dem Bild entsprach, das sich Ngoc von einem Engel gemacht hatte. Seine Mutter hatte ihm oft von den Engeln erzählt, und diese weiße Frau in diesem weißen Raum mußte eine Art Engel sein.
»Da bist du ja!« sagte Julia befreit. »Hab' ich mir Sorgen gemacht! Und das sind also deine Kinder. Süß sind sie, Ut.«
Weder Ut noch Xuong verstanden sie, weil sie deutsch sprach, aber am Ton ihrer Stimme hörten sie, daß es freundlich war. Ut nickte, als sie ihren Namen hörte, und Xuong sagte auf englisch: »Ich habe sie geholt, Miss Meerkatz. Wir sind alle froh, daß Ut jetzt in Sicherheit ist. Ich danke auch allen Herren Ärzten.«
Er verbeugte sich ehrerbietig und verließ das Krankenzimmer. Julia ging zu den Kindern, hockte sich vor ihnen nieder und wollte dem Mädchen, das vor ihr stand, über den Kopf streicheln. Sofort war Ngoc neben ihr und hielt ihre Hand fest. Das kleine Mädchen kroch nahe an Ut heran und begann leise zu weinen.
»Ich tu' dir doch nichts«, sagte Julia und richtete sich wieder auf. »Und du bist ein mutiger Junge.« Sie zeigte auf das Bett und nickte ihnen zu. »Setzt euch.«
Obwohl Ut sie nicht verstand, begriff sie doch, was Julia ihr sagte. Sie sprach ein paar Worte in ihrer kehligen, leicht singenden Sprache, und Ngoc setzte sich daraufhin ganz vorsichtig auf den bewunderten Plastikstuhl. Ut führte die kleinen Mädchen zur Wand, setzte sich auf den Hocker und nahm die Kleinen auf ihren Schoß, auf jeden Schenkel einen. Sie drückten sich an die Mutter und starrten Julia fragend an.
So saßen sie noch, stumm, ehrfurchtsvoll, erdrückt von dieser weißen Sauberkeit um sich herum, als Anneliese ins Zimmer kam. Zusammen mit Johann Pitz hatte sie den völlig betrunkenen Dr. Starke in sein Zimmer gebracht und aufs Bett geworfen. Dort war er liegengeblieben, mit ausgebreiteten Armen und von sich gestreckten Beinen, aber so restlos betäubt vom Alkohol war er doch nicht, um nicht noch sagen zu können: »Schöne Kollegin, komm an meine Seite. Mach's dir gemütlich. Zieh dich aus. Du … du … bist ein herrliches Geschöpf.«
»Jei, ist der besoffen!« sagte Pitz. »Was will der jetzt mit 'ner nackten Frau?«
»Johann!« Anneliese sah Pitz strafend an. Der Krankenpfleger grinste verlegen.
»Ich habe doch nicht Sie gemeint, Frau Doktor. Nur so im allgemeinen …«
»Komm, mein Schätzchen«, lallte Dr. Starke. Er versuchte den Oberkörper aufzurichten, fiel aber sofort wieder aufs Bett zurück. »Komm, leg dich zu mir, der Chef sieht es nicht …«
Wortlos verließ Anneliese das Zimmer. Pitz wartete, bis hinter ihr die Tür zufiel, und ging dann an das Bett. Er beugte sich über Dr. Starke und blickte ihm in das gerötete, von Alkoholdunst eingehüllte Gesicht. Starkes starre, geweitete, schwimmende Augen schienen die Umwelt nicht mehr zu erkennen.
»Da ist noch etwas, Doktor!« sagte Pitz eindringlich und leise. »Glaubst du, ich sehe nicht, wie du Julia nachstellst? Wie du sie mit deinen geilen Augen auffrißt? Auch wenn du ein Studierter bist und ich nur ein kleiner Krankenpfleger, ich gebe sie nicht her, sie gehört mir, mir allein. Verstehst du? Mich liebt sie, keinen anderen. Und wenn du sie nicht in Ruhe läßt, bekommst du das im nüchternen Zustand.«
Er bog sich etwas zurück, holte aus und schlug Dr. Starke mit der flachen Hand ins Gesicht. Links, rechts, links, rechts, es klatschte anständig, Starkes Kopf flog hin und her, er grunzte dabei, aber es war nicht sicher, ob er überhaupt etwas von den Ohrfeigen spürte.
»Das war's, Doktor!« sagte Pitz nach dieser Serie von Schlägen zufrieden. »Ich weiß, es ist feig, einen Besoffenen zu schlagen, aber es tut gut. Und ich schwöre dir jetzt: Ich schlage dir auch in die Fresse, wo immer du bist, wenn du Julia nicht in Ruhe läßt. Schlaf gut, du geiles Schwein.«
Zufrieden verließ Pitz das Zimmer des Arztes, sah auf seine Armbanduhr und schnalzte mit der Zunge. Es war die Zeit, in der er Julia ungestört lieben konnte, vorne im Leerbunker oder im Proviantraum oder in einer Kammer für Ersatzkabel. Dort hatte er über zwei Kabelrollen eine alte Roßhaarmatratze gelegt, und die Stunden, die er dort mit Julia erlebt hatte, vollkommen sicher vor allen Überraschungen, waren die schönsten in seinem Leben gewesen. Bis er dahinter kam, daß Dr.
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