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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen Apfel, ein Buch, einen Hund, eine Katze, einen Vogel, ein Haus, ein Auto, einen Teller mit Essen, Gabel, Messer, Löffel, einen Kochtopf … dreißig Dinge zeichnete Stellinger auf das Papier und wunderte sich, daß man sie auch erkennen konnte. Wenn sein Lehrer das noch erlebt hätte!
    Einmal, spät am Abend, hatte Buchs einen kurzen Besuch in Stellingers Kabine gemacht, um einen Whisky mit ihm zu trinken. Er fand Stellinger in vorgebeugter Haltung und schwitzend am Tisch, seine Umwelt vergessend und nur auf seine Zeichnung konzentriert. Er malte gerade mit einem Gelbstift eine Sonne in den blauen Himmel.
    Buchs blickte ihm über die Schulter und sagte dann: »Biste bekloppt, Franz?«
    Stellinger schrak aus seiner Versenkung hoch und legte beide Hände über die Zeichnung.
    »Von Anklopfen haste wohl nie was gehört«, knurrte er. »Was willst du?«
    »Isch han nich jewußt, dat hier 'n neuer Rembrandt entsteht. So 'ne schön Sonn …«
    »Hau ab, Lothar!«
    »Wat soll dat jeben? 'ne Ausstellung in Manila? Vernissage vum Franz Stellinger. Impressiönchen vum Südchinesischen Meer.«
    »Das sind Lehrmittel, du Idiot.«
    »Wat sind dat?«
    »Ich bringe jemandem Deutsch bei, und das ist mein Lehrbuch. Und jetzt laß mich allein.«
    »Keinen Whisky? Franz, mal doch 'n Fläsch mit Whisky. Dat is so wichtig wie die Sonn.«
    Stellinger legte die Buntstifte aus der Hand und drehte sich zu Buchs um. Man sah ihm an, daß er sich selbst Geduld befahl. »Paß mal auf, Lothar«, sagte er mühsam beherrscht. »Wir machen ein Spielchen. Ich zähle bis drei, und dann bist du wie ein Sprinter aus der Kabine, oder ich trete dir in den Sack. Eins … zwei –«
    »Schon jut, schon jut!« Buchs hob wie zur Kapitulation beide Hände. »Isch jeh ja schon. Und wann krieg isch meine Buntstifte wieder?«
    »Ich kauf dir in Manila neue. – Drei.«
    Stellinger erhob sich langsam von seinem Stuhl. Buchs machte einen Satz rückwärts und rannte aus der Kabine. Bei Stellinger wußte man nie, wo der Scherz aufhörte und der Ernst begann. Er war unberechenbar. Er hörte, wie Stellinger die Kabine abschloß und durch die Tür rief: »Komm in einer Stunde wieder.«
    »Dat haste dir jedacht!« schrie Buchs zurück. »Isch hindere doch keinen Rembrandt daran, berühmt zu werden.«
    Jetzt saß Stellinger also auf seinem Liegestuhl, hatte die bemalten Zettel geordnet und mit der Handfläche geglättet und hoffte inständig, daß Mai beim Anblick seiner Zeichnungen nicht lachte. Er würde es stumm und ergeben ertragen, aber es würde doch innerlich wehtun. Ein Stellinger macht sich nicht lächerlich. Nur zweimal hatte man bisher über ihn gelacht, in einer Kneipe in Kiel und in einem Puff in Monrovia. In beiden Fällen mußten seine Kontrahenten mit Blaulicht in ein Krankenhaus gebracht werden.
    Endlich war Kim mit ihrer Arbeit fertig und kam aus der Küche zu ihm. Sie setzte sich neben ihn auf ihren Liegestuhl und sagte auf deutsch: »Hierrr bin isch …«
    »Bravo.« Stellinger klatschte in die Hände. »Steht das auch in dem Roman?«
    »Ja, ich habe es mir von Julia erklären lassen.«
    »Orangensaft?« Stellinger hob die Flasche.
    »Ja, aber ohne Rum.« Kim blickte sich um. Unter dem Sonnensegel schräg neben ihnen sah sie Le sitzen und zu ihnen herüberstarren. »Mit Rum«, sagte sie, und ihre Stimme klang plötzlich trotzig.
    »Das ist ein gutes Wort.« Stellinger mixte das Getränk, einen Teil weißer Rum, drei Teile Fruchtsaft.
    »Du hast noch nichts gegessen?« fragte sie.
    »Nein. Ich habe heute keinen Hunger.«
    »Ich habe für dich eine Schüssel Nudeln und Fleisch aufgehoben. Soll ich sie bringen?«
    »Wenn du sie extra für mich weggestellt hast, dann hol sie.«
    Kim sprang auf, lief in die Küche, kam aber sofort wieder zurück. »Sie ist weg!« rief sie wütend. »Jemand hat sie gestohlen.«
    »Er wird mehr Hunger gehabt haben als ich. Gönn es ihm, Mai.«
    »Sechs Stücke Fleisch waren darin.«
    »Und wieviel bekam jeder?«
    »Drei.«
    »Das war ungerecht, Mai.« Er griff nach ihrer Hand, zog sie zu sich und küßte ihre Handfläche. »Warum hast du mir sechs gegeben?«
    »Weil … weil …« Sie entriß ihm ihre Hand und setzte sich wieder auf den Liegestuhl. Verlegen starrte sie vor sich hin. »Es waren meine drei Stücke dabei«, sagte sie, als schäme sie sich.
    »Du hast darauf verzichtet?«
    »Ich habe es gern getan, Toam.«
    »Mai«, Stellinger spürte wieder den Kloß in seiner Kehle, der ihn so maßlos aufregte, aber den

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