Das goldene Meer
er immer bekam, wenn er Kim ansah und sie sich in seinen Armen vorstellte. Er beugte sich vor und wollte sie an sich ziehen, aber Kim bog sich sofort zurück. Sie spürte fast wie ein Brennen Les Blick in ihrem Nacken. Stellinger setzte sich wieder und machte sich Vorwürfe. Sie hat noch Angst vor mir, vor dem Fremden, vor der Zukunft, vor einer Liebe, die vielleicht nur so lange währt, wie wir auf dem Schiff sind. Aber sie liebt mich, sie lernt Deutsch, sie gibt mir ihr Essen, sie wird mir vertrauen. Geduld, Franz, Geduld. Hab keine Angst vor mir, kleine, schöne Mai.
»Fangen wir an?« fragte er, härter als er es wollte. Kim schrak zusammen und sah ihn mit erschrockenen Augen an.
»Ja, Toam.«
»Ich habe hier Bilder gemalt.« Stellinger legte die Zeichnungen vor Kim auf den niedrigen Tisch zwischen den Liegestühlen. »Ich kann gar nicht zeichnen, ich bin der Schrecken aller Zeichenlehrer gewesen, aber vielleicht kannst du doch etwas erkennen.«
»Sie sind sehr schön, Toam«, sagte Kim gehorsam und höflich. »Morgen werde ich Gegenstände malen, einmal du, einmal ich.«
»Und jetzt auf deutsch.« Stellinger beugte sich vor. Auch Mai hatte sich vorgebeugt, ihre Köpfe berührten sich fast. Von weitem, in dem Winkel, in dem Le saß, mußte es aussehen, als küßten sie sich. Stellinger schob das erste Blättchen Flugpostpapier vor Kim hin. »Das ist ein Topf. Sprich nach: Topf.«
»Topfff«, wiederholte Kim.
»Blume.«
»Blummme.«
»Katze.«
»Kasssee.« Sie hob den Blick und lächelte Stellinger an. »Das ist ein schweres Wort für uns, Toam.«
»Kat … ze …« Stellinger strich Kim zärtlich über das Haar. Schwarze Seide, dachte er verliebt. So wird auch ihr Körper sein, ihre Haut … Seide. »Versuch's noch mal.«
»Kat … zeee …«
»Sehr gut, Mai.«
»Nein, sehr schlecht. Es klingt ganz anders als bei dir.«
»Für den Anfang ist es sehr gut, Mai.«
»Dein Deutsch ist eine schwere Sprache, Toam.« Sie zog die nächste Zeichnung zu sich heran. Es war die Sonne im blauen Himmel. »Sie hat keine Musik, keinen Klang, sie ist hart. Sie klappert.«
Verblüfft sah Stellinger sie an. So also hören wir uns an, dachte er. Wir klappern. Er hatte darüber noch nie nachgedacht, wie niemand, der seine Muttersprache als etwas Selbstverständliches betrachtete. Keine Musik ist in unserer Sprache … verdammt, das stimmt. Italienisch, spanisch, französisch, portugiesisch, da singen die Wörter. Und auch das Vietnamesisch klingt, als singe man die Sprache. Ganz klar, daß unsere Knack- und Zischlaute sie verwirren. Für ihre Ohren muß es schrecklich klingen. Sie wird das nie richtig lernen: Ochse, Glatze, Herrlichkeit, Finsternis, Rücken, Flasche, Kirche, Butter, Apfel … wirklich nur ein Knacken und Zischen. Eine Aneinanderreihung von Mißtönen – und doch die Sprache von Goethe, Schiller und Hölderlin.
»Mai, ich liebe dich!« sagte Stellinger auf deutsch. »Ich liebe dich wie nichts auf der Welt. Und der Teufel soll mich holen, wenn ich dich allein lasse. Du gehörst zu mir. Ich will dir ein schönes Leben schenken, soweit ich es kann.«
»Was hast du gesagt, Toam?« fragte sie.
»Ich habe gesagt, jede Sprache ist schwer. Deine könnte ich nie lernen.«
»Machen wir weiter.« Kim zeigte auf die Zeichnung. »Was ist das?«
»Himmel und Sonne.«
»Himmmelll und Sonnneee …«
»Ich liebe dich«, sagte Stellinger dumpf auf deutsch.
»Soll ich wiederholen?«
Er nickte und hatte das Gefühl, als blähe sich sein Herz auf.
»Sag es noch einmal, Toam.«
»Tausendmal will ich dir's sagen: Ich liebe dich!«
»Isch … libbbee … disch …« Sie lächelte ihn scheu an. »Gut so, Toam?«
»Wunderbar. Vergiß diesen Satz nie … nie.«
»Was bedeutet er?«
»I love you!«
Sie sahen sich in die Augen, ganz nahe waren sie sich, und in Kims Blick war kein Erschrecken mehr, sondern der reine Glanz der Seligkeit.
»Ich … ich liebe dich auch«, sagte sie ganz leise. »Toam, was sollen wir tun?«
»Das, mein Mädchen.« Er umfaßte ihren kleinen Kopf, zog ihn noch näher an sich heran, küßte erst ihre Augen, dann die Nase und die Wangen, und als sie die Arme um ihn warf, riß er sie an sich und küßte ihren Mund, spürte den Druck ihrer Brüste an seiner Brust, spürte das Zittern, das durch ihren Körper ging und die Hingabe. Es war ein Gefühl, wie es Stellinger noch nie empfunden hatte, es zerriß ihn fast, war wie eine Lähmung, die sein Herz erfaßte, und doch wie ein Glutstrom in
Weitere Kostenlose Bücher