Das goldene Meer
alten Stuhl, brachte ihm die Schüssel und setzte sie auf seinen Schoß. Er klemmte sie zwischen seine Beine, holte unter seinem Hemd die Eßstäbchen hervor und begann mit zitternder Hand, den Kopf tief über den Eßnapf gebeugt, die Nudeln in sich hineinzuschaufeln. Er kämpfte noch mit dem Essen, als die Reihe der Wartenden sich längst aufgelöst hatte und Kim mit den zwei Köchinnen allein in der Baracke war. Sie spülten die Kessel aus und schrubbten die Dielen. Kim benutzte die Gelegenheit, verließ die Küche und ging zu Stellinger. Er lag im Liegestuhl, rauchte einen Zigarillo und ärgerte sich, daß Le nicht wie die anderen unter Deck gegangen war, sondern seine Schüssel auf Deck leerte. Er saß unter dem Sonnensegel, wo Anneliese zweimal am Tage die Kinder in Deutsch unterrichtete, mit ihnen sang und spielte. Unverwandt blickte er hinüber zu Stellinger, provozierend und mit Haß in den Augen.
»Fertig, Mai?« Stellinger umfaßte Kim mit einem Blick, der Liebe und Sehnsucht ausdrückte. Sie trug nur einen einfachen, blauen Kittel und nichts darunter. Stellinger stellte es mit plötzlich trockener Kehle fest, weil ihre Brüste sich durch den Stoff drückten und der Fahrtwind den Kittel an den Körper preßte. »Ich habe eisgekühlten Orangensaft für uns. Und weißen Rum. Das gibt ein wunderbares Mixgetränk.«
»Keinen Rum, Toam, ich war betrunken neulich.«
»Ist das nicht ein fabelhaftes Gefühl?«
»Nein.«
»Alles ist so anders, so leicht, so ohne Probleme. Die Welt verändert sich. Man ist ein anderer Mensch.«
»Man ist willenlos.«
»Ist das nicht schön, Mai? Alles vergessen, diesen ganzen Scheißdreck hier, alles, was hinter dir liegt, einfach wegwischen.«
»Und dann? Am nächsten Morgen?«
Da wachst du neben mir auf, dachte Stellinger und dehnte sich bei dieser Vorstellung. Oder du wachst auf, weil ich dich wieder umarme, und die Sonne scheint durchs Fenster und beleuchtet deinen nackten Körper und wir lieben uns und können nicht genug voneinander haben und halten uns fest, damit uns keiner dieses Glück nehmen kann und … und … Stellinger seufzte und legte ein Handtuch über seinen Leib. Mai brauchte nicht zu sehen, woran er dachte. Die letzte Frau, wann war das? Vor zwölf Wochen in Singapur. Eine Serviererin in einem Hafencafé. Hübsch und zierlich wie alle Singapur-Chinesinnen. Ein zwitscherndes Vögelchen, immer lustig, immer kichernd, ob im Bett, auf den Knien, auf dem Schoß, in allen Stellungen – immer dieses helle, singende Tirilieren und die kleinen spitzen Schreie, und dann die Ernüchterung, wenn sie die Hand aufhielt und ebenso zwitschernd sagte: »Darling, fünfzig Dollar.« Stellinger starrte wieder auf Kims sich unter dem dünnen Kittel abzeichnende Schenkel und das Dreieck dazwischen. Du bist anders, dachte er, und ein Gefühl von Hitze durchzog ihn. Du kommst mit mir nach Deutschland, ich heirate dich, du wirst immer bei mir bleiben, es wird eine Liebe sein, die nie aufhört. Du bist mein Schicksal. Das klingt verdammt dumm und kitschig, aber sag mir mal einer, wie man es anders nennen soll? Sie ist mein Schicksal. Ich komme nicht mehr von ihr los, und habe sie noch gar nicht gehabt.
»Wer denkt an den nächsten Morgen?« sagte Stellinger. Seine Stimme klang rauh.
»Ich, Toam. Was ist, wenn ich nicht mehr weiß, was ich getan habe?«
»Du wirst nie etwas Böses tun, Mai.«
»Nichts Böses, aber etwas, was ich bereuen könnte.«
»Auch zu bereuen brauchst du nichts.« Stellinger zeigte auf den freien Liegestuhl neben sich. »Wann kommst du?«
»Ich muß noch einen Kessel scheuern.«
»Wir werden weiter Deutsch lernen, Mai. Ich habe wieder kleine Bilder gemalt und sage dir die deutschen Namen. Und morgen machen wir daraus ganze Sätze.«
Sie nickte und lief in den Küchenverschlag zurück Stellinger trank sein Glas Rum mit Orangensaft leer und holte aus der Tasche die bemalten Zettel. Er glättete sie auf den Knien und blätterte sie noch einmal durch.
Viel Mühe hatte er sich damit gemacht, Begriffe zu zeichnen. Er war nie ein großer Maler gewesen, schon in der Schule war sein Lehrer darüber verzweifelt. Dafür konnte Franz Stellinger schon mit elf Jahren einen Mopedmotor auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, ohne eine Schraube übrigzubehalten.
Daran erinnerte sich Stellinger, als er begann, auf dünnem Luftpostpapier und mit Hilfe von Buntstiften, die dem Funker Lothar Buchs gehörten, Anschauungsbildchen zu malen: Einen Baum, eine Blume,
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