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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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für Einwanderer in Amerika. Außerdem lud Walther Diebolds Pistole mit Kugeln, die er in der Tasche des Toten gefunden hatte, und steckte sie unter seinen Rock.
    »Sollten sie uns fangen, werde ich uns damit das Fallbeil ersparen«, erklärte er düster.
    »Das ist gut!« Gisela schüttelte es bei dem Gedanken, eingesperrt zu werden und auf den Tag der Hinrichtung warten zu müssen.
    Zuerst hatte Walther die Doppelbüchse, mit der Gisela ihm und sich das Leben gerettet hatte, zurücklassen wollen. Dann aber hängte er sich die Waffe über die Schulter. »Amerika ist ein Land der Pioniere«, sagte er zu seiner Frau. »Es ist gut möglich, dass ich die Büchse drüben brauche.«
    Gisela seufzte bei dieser Vorstellung, nahm ihr Bündel auf und schritt zur Tür. Ihr stiegen Tränen in die Augen, weil sie alles zurücklassen musste, was ihr lieb und teuer war, insbesondere all die Sachen, die wohlverpackt in der großen Truhe lagen. Es gab aber keine Möglichkeit, sich einen Wagen zu besorgen und den sperrigen Kasten mitzunehmen.
    Über den Vorsprung, den sie vor möglichen Verfolgern haben würden, machten sie sich keine Illusionen. Sobald Diebold im Schloss vermisst wurde, würde man ihn suchen und seine Leiche mit Hilfe eines Schweißhunds finden.
    Walther war klar, dass man ihn und Gisela als die Hauptverdächtigen für Diebolds Tod ansehen würde. Die Anzeichen waren allzu deutlich, außerdem gab es hier in der Gegend niemand, der eine ähnliche Büchse wie er besaß. Daher hob er seine Frau auf das Pferd, mit dem er nach Celle geritten war, und stieg in den Sattel. Der Gaul war müde und musste zudem zwei Menschen tragen, doch er hoffte, das Tier würde sie in der Nacht so weit von Renitz wegbringen, dass sie eine Weile in Sicherheit waren.
    Gisela saß hinter Walther auf dem blanken Pferderücken und klammerte sich an ihm fest. In Gedanken sah sie immer wieder Diebold und seinen ungläubigen Blick, mit dem er zusammengebrochen war. Zwar bedauerte sie seinen Tod nicht, denn dafür hatte er ihr zu viel angetan. Doch der Gedanke, dass er durch ihre Hand gestorben war, brannte wie Feuer in ihr. Sie hatte gegen das heiligste der Zehn Gebote verstoßen, das da hieß: Du sollst nicht töten! Doch hatte nicht auch Diebold gegen die Gebote verstoßen, die nicht minder für evangelische Christen galten? Immerhin hieß es, dass ein Mann nicht das Weib seines Nächsten begehren sollte. Trost brachte diese Erkenntnis ihr nicht.
    Irgendwann wurde ihre Erschöpfung so groß, dass sie immer wieder wegdämmerte. Aber jedes Mal, wenn sie einnickte, hielt sie im Traum die Büchse in der Hand und feuerte auf Diebold, und sie schrak hoch. Einmal war es so schlimm, dass sie mit den Armen um sich schlug und ihren Halt verlor. Nur Walthers rasches Zugreifen verhinderte, dass sie vom Pferd fiel.
    »Tut mir leid!«, flüsterte sie.
    »Du bist müde, mein Schatz. Ich werde dich mit einem Strick an mir festbinden. Dann kannst du ein wenig schlafen, ohne Gefahr zu laufen, vom Pferd zu fallen.«
    Gisela schüttelte den Kopf. »Wir haben doch gar keinen Strick bei uns! Außerdem würden wir zu viel Zeit verlieren. Du sagst doch, wir müssen die nächste Postkutsche erreichen!«
    Während Walther noch überlegte, klammerte sie sich an ihn wie ein Äffchen an seine Mutter und fiel nach wenigen Atemzügen wieder in einen von üblen Träumen geplagten Schlaf. Walther vernahm ihren gepressten Atem und hörte sie zwischendurch wimmern. Doch er konnte nicht mehr tun, als darauf zu achten, dass Gisela nicht vom Pferderücken rutschte.
    Während sie durch die Nacht ritten, überlegte Walther sich die nächsten Schritte. Vor diesem Zwischenfall hatte er geplant gehabt, so rasch wie möglich nach Bremen zu reisen, um dort auf ein Schiff in Richtung Amerika zu steigen. Nun aber würde die Gräfin von den Behörden verlangen, Steckbriefe auszustellen und weiträumig zu verteilen. Wenn diese Bremen erreichten, bevor das Schiff den Hafen verlassen hatte, konnte dies für Gisela und ihn fatal enden. Doch auch die übrigen deutschen Hafenstädte würden sich einem Ersuchen Preußens, ein flüchtiges Verbrecherpaar zu arretieren, nicht widersetzen.
    Wenn sie nach Amerika entkommen wollten, durften sie nicht in Deutschland bleiben. Wohin sollten sie sich wenden? Nach Holland vielleicht? Von Amsterdam und Antwerpen fuhren ebenfalls Schiffe nach New York. Doch nach allem, was er in Bremen erfahren hatte, war auch das Königreich der Niederlande nicht sicher genug.

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