Das goldene Ufer
Extrazimmer für das Frühstück, oder bleiben Sie hier in der Gaststube?«
Ein Extrazimmer bedeutete einen höheren Preis, und daher wollte Walther schon ablehnen. Doch dann besann er sich und nickte. »Wir nehmen das Extrazimmer, Herr Wirt. Bringen Sie uns ein gutes Frühstück. Ach ja, können Sie mir Papier, Tinte und Feder besorgen? Ich will noch rasch einen Brief schreiben.«
»Sehr wohl, der Herr!« Der Wirt führte sie in ein kleines Zimmer, in dem nur ein Tisch mit vier Stühlen stand, und verschwand in Richtung Küche.
Gisela und Walther hörten, wie er die Mägde dort anwies, Kaffee, Bier und ein reichhaltiges Frühstück im Extrazimmer aufzutischen.
»War das klug?«, fragte Gisela leise.
»Das wird sich weisen!« Walther rückte ihr einen Stuhl zurecht und setzte sich selbst hin. Selten zuvor hatte er sich so müde und zerschlagen gefühlt wie zu dieser Stunde, und er sehnte sich nach einem weichen Bett. Doch noch befanden sie sich zu nahe an Renitz, um sich einen Ruhetag leisten zu können.
Nicht lange, da kehrte der Wirt mit dem Schreibzeug zurück. Auch ein Federmesser fehlte nicht. Es war äußerst scharf und damit ausgezeichnet für gewisse Zwecke geeignet.
Nachdem der Wirt verschwunden war, holte Walther seinen Pass heraus und schabte mit dem Federmesser vorsichtig seinen Namen vom Papier. Als eine Magd ein Tablett mit dem Frühstück brachte, unterbrach er seine Arbeit und bedeckte den Pass mit einem leeren Blatt Papier. Brot, Wurst und Käse rochen gut, und doch verspürte auch er keinen Appetit. Er zwang sich jedoch, etwas zu essen, um Gisela ein Vorbild zu sein. Zu seiner Erleichterung nahm auch sie eine Kleinigkeit zu sich, sah danach aber so bleich aus, als würde ihr gleich übel. Der warme Kaffee beruhigte jedoch ihren Magen, und als Walther sich wieder seinem Pass zuwandte, sah sie ihm neugierig zu.
Kaum hatte er seinen Namen so weit abgeschabt, dass dieser nicht mehr zu erkennen war, nahm er die Feder zur Hand und probte auf einem Papierbogen des Wirtes die Handschrift des Beamten, der ihm den Pass ausgestellt hatte. Kurz überlegte er, welchen Namen er wählen sollte, und entschied sich zunächst einmal dafür, die eigenen Vornamen zu lassen. Wenn sie statt angenommener ihre eigenen Vornamen im Gespräch benutzten, würden sie sich verraten. Als Familiennamen schrieb er schließlich den seines Professors aus Göttingen in den Pass, setzte ein Dr. davor und las dann Gisela vor, wie er und sie fürderhin heißen würden.
»Doktor Walther Artschwager und seine Gattin Gisela, geborene Fürchtenicht. Ich hoffe, du bist damit zufrieden, denn deinen Geburtsnamen darf ich nicht einsetzen.«
Gisela zog die Schultern nach vorne und schlang die Arme um sich, als friere sie. »Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal zu solchen Schlichen greifen müssen«, flüsterte sie und kämpfte mit den Tränen.
»Vertrau mir! Es wird alles gut. Hier haben wir nun einen Pass, mit dem wir bis nach Paris, Madrid und noch weiter gelangen.« Das Letzte sagte er mehr im Scherz, um seine, aber auch Giselas Anspannung zu bekämpfen. Danach wedelte er mit dem Dokument in der Luft, damit die Tinte schneller trocknete, faltete es zusammen und steckte es ein. Einen Augenblick später vernahm er in der Ferne das Horn des Postillions, das die Postkutsche aus Braunschweig ankündete.
»Wirt, zahlen!«, rief er und beglich kurz darauf ihre Zeche. Draußen warteten Gisela und er, bis die Postkutsche eingefahren war. Während die Pferde gewechselt wurden, gesellte Walther sich zu dem Postillion, der gerade sein Frühstück in Form eines großen Kruges Bier zu sich nahm.
»Wohl viel los heute, was?«
Der Postillion trank erst einen gehörigen Schluck, bevor er antwortete. »Auch nicht mehr als sonst.«
»Ist noch Platz in der Kutsche?«, fragte Walther weiter.
»Wollen Sie mitfahren?«
»Wenn genug Platz ist für mich und mein Weib, ja.«
»Für einen hätten wir noch Platz, aber zwei …« Der Postillion rieb sich das Kinn und überlegte. »Wenn Sie sich oben zu mir und meinem Knecht auf den Bock setzen, könnte Ihre Frau in der Kutsche mitfahren.«
»So machen wir es!«, erklärte Walther erleichtert und zahlte das Fahrgeld bis Kassel. Ein Silbergroschen wechselte als Trinkgeld den Besitzer, dann konnte er Gisela holen.
Der Postillion trieb die Knechte zur Eile an und forderte seine Passagiere auf, die gerade vom Abort kamen oder sich rasch etwas zu essen geben ließen, wieder in die Kutsche zu steigen. Dann
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