Das goldene Ufer
Renitz und ließ ihn harscher reagieren, als Walther von ihm gewohnt war.
Für einige quälende Augenblicke hatte der Junge befürchtet, sein Herr würde Gisela wegschicken, weil der Pastor es verlangte, und atmete auf, weil diese Gefahr zumindest für die nächste Zeit gebannt war.
Gisela musterte die Gräfin und den Pfarrer ängstlich. Wieso nur waren ihr beide Eltern genommen worden? Zwar war ihr Vater Soldat gewesen, aber er hatte in all den Schlachten niemals eine ernsthafte Wunde davongetragen. Da erschien es ihr wie ein Hohn, dass er ausgerechnet im letzten Gefecht dieses schier endlosen Krieges sein Leben hatte lassen müssen.
Noch schwerer wog der Tod der Mutter. Seit sie denken konnte, war Gisela mit ihr, dem Vater und seinem jeweiligem Regiment gezogen. Nun ruhten beide in der Erde von Brabant, und sie war von der Gnade jener Leute abhängig, die sie ganz offensichtlich ablehnten. Gisela fragte sich, ob sie nicht doch besser das bisschen, was sie noch besaß, in ein Tuch packen und Renitz heimlich verlassen sollte. Suchen würde man sie gewiss nicht. Vielleicht würde der Graf sogar froh sein, die Verantwortung für sie auf so leichte Weise loszuwerden.
Dann aber sah sie Walther an, der sich wie ein Bruder um sie gekümmert hatte. Er würde ihr gewiss folgen, um sie zurückzuholen, und vielleicht sogar mit ihr als Landstreicher über die Straßen ziehen, wenn sie nicht auf Renitz bleiben wollte. Das durfte sie nicht zulassen. Graf Renitz hatte versprochen, ihn ausbilden zu lassen, und so würde er irgendwann einmal eine bedeutende Stellung einnehmen, vielleicht sogar als Gutsinspektor oder Ähnliches.
2.
T rotz des abweisenden Empfangs auf Renitz gewöhnten Gisela und Walther sich rasch an das Leben im gräflichen Schloss. Luise Frähmke, die dort als Mamsell amtierte, trug den beiden Arbeiten auf, die ihnen das Gefühl gaben, sich das Brot zu verdienen, das sie aßen. Von Graf Renitz und seiner Gemahlin sahen sie kaum etwas. Und auch Diebold kam ihnen kaum unter die Augen, der unter die Aufsicht des Pastors gestellt worden war und seine in den letzten Jahren arg vernachlässigte Bildung nachholen sollte.
An diesem Morgen hatte Frau Frähmke die beiden Kinder in den Wald geschickt, um Pilze zu suchen. Walther überkam ein seltsames Gefühl, als er zwischen den Baumriesen hindurchging und zu den weit ausladenden Kronen aufsah. Hier waren einst sein Vater und auch sein Großvater Förster gewesen. Wie sehr wünschte er sich diesen Posten, um für immer hier leben und arbeiten zu können. Doch Förster des Grafen Renitz wurde man nicht, indem man Pilze sammelte und Feuerholz in die Küche trug.
Bei diesem Gedanken wurde seine Miene so hart, dass Gisela erschrak. »Walther, was ist mit dir?«
»Ich habe gerade an die Versprechungen gedacht, die Graf Renitz mir gemacht hat. In Paris hat er mir versichert, ich dürfte lernen und später, wenn ich die Prüfungen schaffe, sogar mit Herrn Diebold zusammen die Universität besuchen. Letzteres bräuchte es nicht einmal! Ich wäre doch schon froh, wenn ich genug lernen könnte, um hier Förster zu werden, so wie mein Vater es gewesen ist.«
»Ich glaube nicht, dass du dir das wünschen solltest«, wandte Gisela ein. »Ich habe den jetzigen Förster gestern im Dorf gesehen. Er ist ein junger Mann und wird dem Grafen noch Jahrzehnte dienen können.«
»Der Graf hat auch noch andere Besitzungen, auf denen ich Förster werden könnte.«
In dem Augenblick, in dem er es sagte, wurde Walther jedoch klar, dass eine solche Aussicht ihn wenig lockte, denn er wollte in dem Forst bleiben, den schon seine Vorfahren gehütet hatten.
»Mach endlich! Die Pilze sammeln sich nicht von allein«, fuhr er das Mädchen ruppig an.
Gisela verkniff sich eine gepfefferte Antwort, denn ihr Korb war bereits um einiges voller als der seine. Allerdings hatte er sie auf mehrere Stellen hingewiesen, an denen Pilze wuchsen, und ihr diese auch überlassen. Er war ein guter Junge, meist freundlich und immer bereit, ihr beizustehen. Dafür musste sie ihm dankbar sein. Außerdem verstand sie seine Zweifel. Ihr Leben war einfach. Sie würde entweder Magd auf dem Gut werden oder Bedienstete im Schloss. Doch ihm hatte der Graf einiges mehr versprochen und bisher nichts davon gehalten.
»Es tut mir leid«, entfuhr es ihr.
»Was?«, fragte Walther verwirrt, da seine Gedanken bereits eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatten.
»Nun, dass der Graf sich nicht um dich kümmert.«
Walther
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