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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Graf Renitz vertrat ihm den Weg. »Wenn ich sage, ich muss mit Ihnen sprechen, erwarte ich, dass Sie mir zuhören!«
    Der Pastor stoppte mitten im Schritt und senkte die Rute. »Ich stehe zu Eurer Verfügung, Herr Graf.«
    »Das will ich auch hoffen. Wie Sie sich vielleicht erinnern, habe ich Ihnen den Auftrag erteilt, Walther Fichtner zusammen mit meinem Sohn zu unterrichten. Daher wundert es mich, ihn nicht hier zu sehen.«
    »Das halte ich nicht für gut, Herr Graf«, wandte der Pastor ein. »Euer Sohn ist zwei Jahre älter als der Junge, der wahrscheinlich nicht einmal seinen Namen schreiben kann. Es wäre für Herrn Diebold äußerst störend, müsste ich in seiner Gegenwart jemand das Abc und das kleine Einmaleins beibringen. Die Schulstunden reichen bereits jetzt kaum aus, ihm all das Wissen beizubringen, das er braucht, um auf der Universität bestehen zu können.«
    Auf seinen Feldzügen hatte Graf Renitz sich immer wieder über seinen Regimentspfarrer geärgert, der sich mehr geistigen Getränken als geistlichen Handlungen hingegeben hatte. Nun aber wünschte er fast, dieser wäre hier und nicht der renitente Pastor, der seine Anweisungen ignorierte und sich ihm sogar offen widersetzte.
    »Wenn ich einen Befehl erteile, erwarte ich, dass er befolgt wird! Ab morgen sitzt Walther Fichtner neben meinem Sohn an diesem Tisch. Zu Ihrer Beruhigung kann ich sagen, dass er sowohl das Abc wie das kleine Einmaleins beherrscht. Außerdem ist er ein kluger Junge und wird Diebold bald einholen. Ich hoffe, mein Sohn nimmt sich zusammen, um nicht hinter einem Jüngeren zurückzustehen.«
    Für den Grafen war damit alles gesagt. Da sein Sohn sich nicht durch besonderen Eifer beim Lernen auszeichnete, hoffte er, dessen Ehrgeiz würde durch den Wettbewerb mit Walther angestachelt werden. Außerdem hatte er sich über Pastor Künnen geärgert und wollte diesen nicht ohne Strafe davonkommen lassen.
    »Noch etwas! Sie werden dem Mädchen ebenfalls Schreiben und Lesen beibringen, denn es soll später nicht als einfache Magd arbeiten müssen. Höre ich allerdings, dass Sie versuchen, Gisela vom katholischen Glauben abzubringen, stelle ich es Ihnen frei, sich um eine andere Stelle zu bewerben.«
    An der Miene seines Dienstherrn konnte der Pastor ablesen, dass Widerspruch nicht nur vergebens sein, sondern ihn auch die angenehme Stelle hier auf Renitz kosten würde. Der Gedanke, in irgendeinem abgelegenen Dorf hinterwäldlerischen Bauern das Evangelium predigen zu müssen und dafür als Lohn nur Brot, ein Stück Speck und schlechtes Bier zu erhalten, schreckte ihn ab.
    Da erschien es ihm besser, im Bund mit der Gräfin heimlich gegen deren Gemahl zu opponieren und dessen Anweisungen auf unauffällige Weise zu hintertreiben. Als Erstes beschloss er, Walther zwar als Schüler anzunehmen, diesem jedoch ein Pensum aufzutragen, das der Junge niemals bewältigen konnte. Aus Angst vor der Rute würde der Bengel dem Unterricht fernbleiben, und daran würde ihn selbst keine Schuld treffen. Was das Mädchen betraf, so gab es subtilere Mittel als Drohungen und Zwang, um es von seinem Glauben abspenstig zu machen.
    Mit diesem Gedanken verbeugte Künnen sich vor dem Grafen und versprach, dessen Anweisungen nach bestem Wissen und Gewissen zu befolgen.
    »Das will ich hoffen«, antwortete Renitz und verließ das Zimmer.
    Kaum hatte die Tür sich hinter seinem Vater geschlossen, stieß Diebold einen Fluch aus. »Schockschwerenot! Ich will diesen Lümmel nicht neben mir sitzen haben!«
    Der Pastor starrte ihn zornig an. »Ihr wisst, wie ich zu Flüchen stehe. Dies war jetzt der zweite, den ich heute höre. Jeder kostet fünf Rutenhiebe. Steht auf und bückt Euch!«
    Vor Wut zitternd gehorchte Diebold. Hätte sein Vater ihn mit Schlägen bedroht, hätte seine Mutter sofort eingegriffen. Dem Pastor ließ sie jedoch freie Hand, mit ihm zu verfahren, wie es ihm passte, und Künnen hatte eine Vorliebe für körperliche Züchtigungen. Nur der Gedanke, dass er einmal der Nachfolger seines Vaters werden und den verhassten Pastor davonjagen konnte, ließ ihn die zehn Rutenhiebe auf den Hosenboden ertragen.
    Beinahe hätte der Pastor noch ein elftes Mal zugeschlagen, doch er beherrschte sich und legte die Rute mit einem Ausdruck des Bedauerns weg. Zu sehr durfte er den jungen Herrn nicht züchtigen, wenn er nicht das Wohlwollen der Gräfin verlieren wollte. Das aber benötigte er nun dringender denn je.
    Da wurde dem Pastor klar, dass er ab dem folgenden Tag

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