Das goldene Ufer
auch Walther in seiner Gewalt haben würde. Wenn er den Bengel schlug, würde es Elfreda von Renitz nicht betrüben. Und da war auch noch das Mädchen, das für seinen katholischen Aberglauben bestraft werden musste. So rasch, wie er zuerst geplant hatte, wollte er sich weder seiner neuen Schüler nun doch nicht entledigen. Wenn die Rute die beiden möglichst oft traf, würde dies sowohl Graf Diebold wie auch dessen Mutter gefallen.
4.
P astor Künnen setzte seinen Vorsatz bereits am nächsten Morgen in die Tat um und ließ Walther vom Küchentisch wegholen, an dem dieser gerade die Biersuppe löffelte, die es für die Bediensteten zum Frühstück gab. Als der Junge in den Unterrichtsraum kam, hob der Pfarrer die Augenbrauen.
»Hast du nichts Besseres anzuziehen? So kannst du dich nicht neben den jungen Herrn setzen!«
Betreten schüttelte Walther den Kopf. »Es tut mir leid, Herr Pastor, aber außer diesem Rock, den ich als Trommelbub im Regiment des Herrn Grafen erhalten habe, besitze ich nichts.«
»Dann solltest du dir die entsprechende Kleidung besorgen. Aber du hast wohl kein Geld?«
Walther schüttelte erneut den Kopf, und Diebold lachte gehässig.
»Der Kerl ist zu dumm zum Stehlen!« Es wurmte Diebold immer noch, dass ihm der größte Teil des Geldes, das er dem toten Franzosen abgenommen hatte, entwendet worden war. Nach dem Zwischenfall in Paris hatte er Walther gezwungen, sich bis auf die Haut auszuziehen, und auch dessen Tornister durchsucht. Doch der Junge hatte tatsächlich keine einzige Münze aus dem Beutel genommen. Die paar Scheidemünzen, die Walther besaß, reichten nicht einmal für eine richtige Mahlzeit in einer besseren Gaststätte, geschweige denn für neue Kleider.
»Dann muss ich wohl dafür Sorge tragen, dass du dem Anlass entsprechend gekleidet wirst. Du wirst mir die Auslagen später brav mit Zins und Zinseszins zurückzahlen«, fuhr der Pastor fort.
Diesem Mann verpflichtet zu sein war das Letzte, was Walther sich wünschte, doch ihm war klar, dass er keine andere Wahl hatte. »Ich wäre dem Herrn Pastor sehr dankbar dafür«, presste er hervor und schämte sich dabei so sehr, dass er sich am liebsten ins nächste Mauseloch verkrochen hätte.
Künnen warf ihm einen zufriedenen Blick zu und sagte sich, dass jeder Fleck auf der neuen Kleidung Stockhiebe nach sich ziehen würde. Trotz dieser angenehmen Gedanken vergaß er den Unterricht nicht und wies Walther einen Platz an dem kleinen Tisch neben der Tür zu. Dann reichte er ihm eine Schiefertafel und einen Griffel und forderte ihn auf, das Vaterunser aufzuschreiben. Danach widmete er sich wieder Diebold, der sein Diktat mit einer Menge Fehler beendet hatte.
Es dauerte geraume Zeit, bis Pastor Künnen diese mit seinem adeligen Schüler durchgesprochen hatte und ihm die nächste Aufgabe stellen konnte. Erst danach war er wieder in der Lage, nach Walther zu sehen. Dieser hatte mittlerweile das befohlene Gebet aufgeschrieben und dabei nur zwei Fehler gemacht. Künnen schnaubte enttäuscht, denn er hatte erwartet, dem Jungen von Anfang an Dummheit und Unvermögen vorwerfen zu können. Trotzdem wies er mit tadelndem Blick auf die beiden Fehler und hob seinen Stock.
»Das hättest du besser machen können! Jeder Fehler, den du machst, wird mit einem Stockhieb bestraft. Steh auf und bück dich!«
Walther lag schon die Frage auf der Zunge, weshalb der Pastor Diebold nicht bestraft hatte, obwohl dieser zehn Fehler gemacht hatte, erinnerte sich aber früh genug an den Unterschied zwischen dem Sohn eines Grafen und einer gnadenhalber aufgenommenen Waise und erhob sich gehorsam.
Die Rute pfiff zweimal durch die Luft und klatschte hart auf sein Gesäß. Es tat so weh, dass Walther sich die Tränen verkneifen musste. In diesem Augenblick schwor er, alles zu tun, um möglichst wenig Fehler zu machen, und wenn er dafür seine Seele dem Teufel verschreiben musste.
Auf Künnens Befehl hin wischte Walther seine Schiefertafel ab und schrieb ein weiteres Gebet auf, das im Volk nicht so bekannt war. Diesmal gab er sich besondere Mühe, jedes Wort richtig zu schreiben. Als er einmal nicht weiterwusste, erinnerte er sich daran, dass der Pastor Diebold wegen genau dieses Wortes gescholten hatte, und schrieb es so auf die Tafel, wie Künnen es erklärt hatte.
Da die Gräfin bei ihrem Gemahl durchgesetzt hatte, dass Walther nur am Vormittag am Unterricht teilnehmen und am Nachmittag für Unterkunft und Verpflegung arbeiten musste, entließ Künnen
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