Das goldene Ufer
wäre gut zwanzig Jahre älter als seine Gemahlin. Mittlerweile wirkte das Paar, als lägen mindestens drei Jahrzehnte zwischen ihnen.
»Wie ich sehe, seid Ihr befördert worden«, erklärte Elfreda von Renitz soeben.
»Das war der Dank des Königs für meine Dienste. Ich habe meinen Abschied genommen.« So ganz passten die beiden Sätze nicht zusammen, doch Graf Renitz drückte damit präzise aus, dass seine Zeit als Soldat vorbei war und er sich auf einen ruhigen Lebensabend auf seinem Besitz freute.
Die Gräfin achtete jedoch kaum auf seine Worte, sondern umarmte ihren Sohn. Hatte sie ihren Ehemann gleichgültig, ja beinahe kühl begrüßt, so nahm ihr Gesicht nun einen weichen Ausdruck an. »Ich bin glücklich, dich gesund und unversehrt wiederzusehen, mein Kind!«
»Das hätte sie auch zu dem Herrn Grafen sagen können«, wisperte Gisela ihrem jungen Freund zu.
Auch Walther hatte Graf Renitz’ enttäuschte Miene wahrgenommen und nickte betroffen. Offensichtlich war der Gräfin der Sohn weitaus wichtiger als ihr Gemahl.
Dennoch übte Elfreda von Renitz Kritik an Diebold, die jedoch mehr auf seinen Vater abzielte. »Ich sehe, du trägst Zivil, mein Sohn. Willst du nicht mehr Offizier werden?«
»Oh, doch!«, beeilte Diebold sich, ihr zu versichern.
Nun griff Medard von Renitz ein. »Ich habe veranlasst, dass Diebold seinen Abschied nimmt und erst einmal seine Bildung nachholt, die er wegen des Krieges vernachlässigt hat.«
»Darf ich Euch erinnern, dass Ihr es wart, der unseren Sohn zu den Soldaten geholt hat?« Erneut schwang Kritik in der Stimme der Gräfin mit. Einerseits schien sie es ihrem Mann nicht zu verzeihen, dass er Diebold in Gefahr gebracht hatte. Andererseits bedauerte sie es offensichtlich, ihren Sohn nicht mehr in einer schmucken Uniform zu sehen.
Während Walther insgeheim den Kopf angesichts dieses Widerspruchs schüttelte, wurde die Gräfin auf ihn und Gisela aufmerksam.
»Wer sind die beiden da?«
Der Graf antwortete mit einem leisen Lachen. »Ihr kennt doch den Sohn unseres braven Försters Fichtner. Ein prachtvoller Bursche! Er hat mir auf dem Schlachtfeld von Belle-Alliance das Leben gerettet. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, ihn in mein Haus aufzunehmen und zusammen mit unserem Sohn zu erziehen.«
»Und das Mädchen neben ihm?«, fragte die Gräfin.
»Das ist Gisela, braver Leute Kind. Ihr Vater war der erste Wachtmeister meines Regiments und fiel in der letzten Schlacht bei Belle-Alliance. Ihre Mutter wurde von einem Plünderer ermordet, als sie ihren toten Mann vor diesem beschützen wollte.«
Renitz wusste, dass das Schwerste noch kommen würde, doch er wollte erst einmal seine Gemahlin für Gisela einnehmen.
Die Gräfin schien jedoch kaum Mitleid für das Mädchen zu empfinden. »Ein Soldatenbalg also! Ob die wohl mehr kann als stehlen und lügen?«
Giselas Gesicht lief blutrot an, und sie wäre am liebsten vom Wagen gesprungen und davongelaufen. Rasch hielt Walther sie fest und sah zum Grafen hin. Dieser hatte begriffen, dass der Kampf, wer in Zukunft auf Renitz das Heft in der Hand halten würde, bereits begonnen hatte. Seine Frau würde ein mindestens ebenso harter Gegner für ihn werden wie Napoleons Soldaten für die verbündeten Heere.
»Ich sagte, sie ist braver Leute Kind und wohlerzogen«, antwortete Renitz mit Groll in der Stimme. Er hatte sich seine Heimkehr anders vorgestellt, doch war er nicht bereit, vor seiner Frau zu kapitulieren.
»Von mir aus! Sie kann sich vorerst in der Küche nützlich machen. Später wird sie als Magd auf dem Gut arbeiten.« Elfreda von Renitz wollte bereits das Thema wechseln, als ihr Mann noch einmal auf Gisela zu sprechen kam.
»Es gibt etwas, das Ihr noch wissen müsst, meine Liebe. Gisela ist katholisch getauft und soll es, so Gott will, auch bleiben!«
Bevor die Gräfin darauf antworten konnte, trat ein Herr in strenger schwarzer Tracht neben sie und fuhr Renitz an. »Dies kann ich nicht dulden! Das Mädchen muss den rechten Glauben annehmen oder gehen.«
»Wer hier geht und wer nicht, bestimme auf meinem Besitztum immer noch ich, Pastor Künnen, und sonst niemand. Ich habe der sterbenden Mutter mein Wort gegeben, und an diesen Schwur halte ich mich. Sollte ich erfahren, dass Sie Gisela wegen ihrer Konfession schlecht behandeln, müsste ich mir überlegen, ob Sie noch der richtige Seelsorger für meinen Besitz sind.«
Der unerwartete Widerstand von Seiten seiner Gemahlin und seines Hauspredigers verärgerte
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