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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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das Vaterunser! Außerdem besitzt er keine anständigen Kleider. Pastor Künnen hat sich großzügigerweise bereit erklärt, ihm solche zu besorgen.«
    Das Gesicht des Grafen lief rot an. »Ich danke Ihnen für Ihr Angebot, den Jungen auszustatten, doch das ist meine Pflicht! Ich bedaure, dass ich nicht selbst daran gedacht habe, sonst hätte ich nicht nur meinen Sohn, sondern auch Walther in Berlin neu einkleiden lassen. Ich werde morgen den Schneider aus der Stadt kommen lassen, damit er Walther neue Kleider anmisst.«
    Gräfin Elfreda winkte energisch ab. »Wir haben hier im Schloss genügend Mägde, die gut mit Nadel und Faden umgehen können. Es wird reichen, wenn diese dem Jungen Hose und Weste nähen. Schließlich hat er keinen Anspruch darauf, wie jemand von Stand behandelt zu werden.«
    Renitz wollte ihr im ersten Moment widersprechen, seufzte aber nur. Allmählich fehlte ihm die Kraft, sich immer wieder gegen seine Frau durchsetzen zu müssen. »Dann sorgt bitte dafür, dass dies geschieht, meine Liebe«, antwortete er höflich und ließ den nächsten Gang auftragen.
    »Soll dieser Junge tatsächlich am Unterricht teilnehmen? Ihr habt doch von unserem verehrten Pastor gehört, wie dumm und unbeholfen er ist«, bohrte die Gräfin weiter.
    »Das hat Diebold behauptet. Das Urteil des Herrn Pastors steht noch aus!« Renitz klang verärgert, weil seine Gemahlin diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen wollte.
    Für Künnen war es nicht ganz einfach, eine diplomatische Erklärung zu finden, denn er durfte die Gräfin nicht verärgern, wollte sich aber auch nicht Renitz’ Unmut zuziehen. »Nun«, setzte er zögernd an. »Walthers Intelligenz ist natürlich nicht im Geringsten mit der von Graf Diebold zu vergleichen, aber mit etwas Mühe kann er eine gewisse Bildung erlangen. Sie wird auf jeden Fall ausreichen, um ihm eine Stelle als Gutsinspektor, vielleicht sogar als Verwalter anvertrauen zu können.«
    »Der soll Knecht werden! Zu mehr taugt er nicht«, warf Diebold bissig ein.
    Ein strafender Blick seines Vaters ließ ihn zusammenzucken. Im Gegensatz zur Mutter wusste er, dass dieser zwar langmütig war, aber wenn er dann in Rage geriet, langte er mit einem dickeren Stock zu als der Pastor.
    »Ich gebe noch etwas zu bedenken«, warf Künnen ein. »Es wäre für Graf Diebold gewiss von Vorteil, wenn er nicht allein unterrichtet wird, denn dabei gerät ihm das, was der junge Fichtner lernen muss, von selbst wieder ins Gedächtnis, und so vermag er sich den Stoff, den er während seiner Zeit beim Militär vergessen haben mag, mit Leichtigkeit erneut anzueignen.«
    Da der Pastor der Meinung war, ihr Sohn würde von einem gemeinsamen Unterricht mit Walther profitieren, war die Gräfin einverstanden. Auch Diebold selbst war seinen anfänglichen Worten zum Trotz für den gemeinsamen Unterricht. Er kannte Künnens Vorliebe für die Rute und wusste, dass Walther sie am meisten zu spüren bekommen würde.
    »Dann wird es so geschehen!« Mit diesen Worten war das Thema für Graf Renitz erledigt, und er wandte sich wieder dem Essen zu.
    Während seiner Zeit beim Militär hatte er als Offizier zwar etliche Vorrechte genossen, aber an schlimmen Tagen ebenso gehungert wie der letzte Musketier seines Regiments. Daher war es für ihn ein Genuss, sich richtig satt essen zu können, und das spürte er bereits um die Taille. Wie es aussah, würde er bald selbst einen Schneider brauchen, um seine Garderobe zu erneuern. Dabei, sagte er sich, würde er auch einen Sonntagsrock für Walther anfertigen lassen. Dies erschien ihm ein ebenso guter Kompromiss wie die Entscheidung mit dem gemeinsamen Unterricht.

6.
    F ür Walther hieß es nun, jeden Vormittag das Schulzimmer aufzusuchen und die Schläge des Pastors hinzunehmen. Einen Grund, ihn zu bestrafen, fand Künnen immer, und sei es nur, um Diebold die Hiebe, die dieser erhielt, erträglicher zu machen, indem er Walthers Hinterteil noch weniger schonte.
    Obwohl Walther oft genug die Zähne so zusammenbeißen musste, dass sie knirschten, sog er das Wissen, das der Pastor ihm vermittelte, begierig auf. Er tat sich beim Lernen weitaus leichter als Diebold, der immer wieder störrisch reagierte, wenn sein Lehrer zu ungeduldig mit ihm wurde.
    Neue Kleider hatte Walther inzwischen auch erhalten. Die Störschneiderin der Gräfin hatte ihr Bestes gegeben, und so konnte er sich in seinen Hosen, der Weste und dem Rock sogar am Sonntag in der Kirche sehen lassen. Den Entschluss, ihm

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