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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hatte, hatte er sich etwas einfallen lassen müssen.
    Entschlossen wies er mit dem Zeigefinger auf sie. »Die Mamsell soll dafür sorgen, dass du genug warme Sachen bekommst, um eine Reise antreten zu können.«
    »Eine Reise?«, fragte das Mädchen erschrocken und klammerte sich an Walthers Arm.
    Renitz nickte. »Ich werde dich in zwei Wochen nach Hildesheim bringen, damit du das Christfest bei Leuten deines Glaubens feiern kannst. Dort soll ein Priester dir alles beibringen, was du brauchst, um gefirmt zu werden. Aus diesem Grund wirst du die Wintermonate über dort bleiben und erst im Frühjahr hierher zurückkehren.«
    Damit war nach Ansicht des Grafen alles besprochen, und er wandte sich wieder seinem Buch zu. Die Kinder spürten, dass sie entlassen waren, und zogen sich mit Verbeugung und Knicks zurück.
    Erst draußen wagte Gisela es, ihre Gefühle zu zeigen. »Kaum bin ich hier, muss ich schon wieder weg zu fremden Leuten!«
    »Wenn du evangelisch wirst wie wir alle hier, kannst du bei uns bleiben«, schlug Walther ihr vor.
    Das Mädchen schüttelte vehement den Kopf. »Dann komme ich in die Hölle, und das will ich nicht.«
    »Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?«, fragte Walther verblüfft.
    »Meine Mama! Und die hat es wissen müssen.«
    Für einige Augenblicke lag Streit in der Luft. Doch rasch lenkte Walther ein, um es nicht zu einem Zerwürfnis kommen zu lassen. »Du darfst ja wieder herkommen. Das hat unser Herr deutlich gesagt.«
    Hoffentlich, dachte Gisela. Doch insgeheim fürchtete sie, Graf Renitz plane, sie abzuschieben, weil ihre Religion ihn störte. Dann würde sie Walther nie wiedersehen.

9.
    S chon am übernächsten Tag fand die Treibjagd auf die Landstreicher statt, an der Walther zu seinem Leidwesen nicht teilnehmen durfte. Diebold von Renitz war jedoch unter den Schützen, und er genoss es, sich als Stellvertreter seines Vaters aufzuspielen. Eigentlich hätte der Förster diese Stelle einnehmen sollen, aber Stoppel hielt sich zurück, um den Sohn seines Herrn nicht zu verärgern. Stattdessen begnügte er sich damit, Diebold ein paar Ratschläge zu erteilen.
    Doch es war, als hätten die Landstreicher die Jagd auf sie vorausgesehen, denn der größte Teil war verschwunden, und nur noch die Spuren ihrer Lager verrieten ihre Anwesenheit. An einem abgelegenen Platz im Wald trafen Renitz und seine Männer lediglich auf eine kleine Gruppe von Heimatlosen, die sich frierend um ein Lagerfeuer geschart hatten.
    Es waren Kinder darunter, daher hob der Graf die Hand, um seine Männer am Schießen zu hindern. Noch bevor er allerdings ein Wort sagen konnte, krachte die Büchse seines Sohnes. Eine der Gestalten am Lagerfeuer bäumte sich auf und fiel in die aufstiebende Glut. Das entsetzte Kreischen der Kinder peinigte die Ohren des Grafen, und seine Befehle gingen in dem Lärm unter.
    Es war auch zu spät. Die Männer, die er mit Gewehren bewaffnet hatte, folgten Diebolds Beispiel und feuerten auf die vor Entsetzen erstarrten Menschen am Feuer. Zwei versuchten noch, in dichtes Gebüsch zu fliehen, doch die Kugeln waren schneller, und als der Pulverdampf verzogen war, lagen sieben reglose Gestalten auf dem reifbedeckten Waldboden.
    »Denen haben wir es gegeben!«, rief Diebold, der seine Läufe leer geschossen hatte, triumphierend.
    Sein Vater hingegen starrte auf die Gruppe, die aus zwei Männern, zwei Frauen und drei Kindern bestanden hatte. Ein Mann und eine Frau waren alt und das andere Paar wohl die Eltern der Kinder gewesen. In den eingefallenen Gesichtern las der Graf Hunger und blanke Not. Auch war die Kleidung der Leute viel zu dünn für den Spätherbst.
    Am liebsten hätte der Graf sich umgedreht und seinen Sohn vor allen Männern für diese Morde zur Rechenschaft gezogen, doch Diebold ließ sich gerade von den anderen Schützen feiern. So trat Medard von Renitz zum Förster, der ebenso wie er selbst nicht geschossen hatte, und schüttelte den Kopf.
    »Sorgen Sie dafür, dass diesen Leuten ein christliches Begräbnis zuteilwird, Stoppel. Anschließend erhalten die Männer in der Dorfschenke einen Krug Bier und etwas zu essen. Der Wirt soll die Rechnung meinem Verwalter vorlegen.«
    Stoppel begriff, dass Renitz allein sein wollte, um mit seinen Gefühlen ins Reine zu kommen, und nickte. »Ich erledige alles so, wie Ihr es wünscht, Herr Graf.«
    Für sich dachte der Förster, dass der Tod einer entwurzelten Familie aus Großeltern, Eltern und Kindern einen verdammt schlechten Erfolg

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