Das goldene Ufer
zuzuhören.
13.
A m nächsten Morgen brach Graf Renitz so früh auf, dass Walther und Gisela keine Gelegenheit mehr fanden, sich zu verabschieden. Sie konnten einander nur kurz zuwinken, dann nahm die Kutsche Fahrt auf. Obwohl Walther noch hinter dem Wagen herlief, geriet dieser bald außer Sicht. Während der Junge mit hängenden Schultern zum Schloss zurückkehrte, saß Gisela in eine warme Decke gehüllt neben dem Grafen und fragte sich bang, was ihr die nächsten Monate bringen mochten.
Von der Fahrt bekam Gisela außer dem Rütteln und Schaukeln der Kutsche wenig mit. Da Renitz mit finsterer Miene zu grübeln schien, wagte Gisela nicht, ihn anzusprechen. Sie konnte auch nicht aus der Kutsche hinausspähen, denn die Fensteröffnungen waren mit Ledervorhängen verschlossen, um die Zugluft fernzuhalten.
Unterwegs machten sie nur einmal Pause. Das Mädchen nützte die Gelegenheit, sich auf dem Abtritt der Poststation zu erleichtern, trank anschließend etwas gewürzten Wein und aß eine Kleinigkeit. Dem Grafen hatte es offensichtlich den Appetit verschlagen, denn er nahm außer einem Becher Wein nichts zu sich. Gisela fragte sich, ob er zornig war, weil er sie in die Stadt bringen musste, und kroch auf ihrem Sitz in sich zusammen.
Nach einer schier endlosen Fahrt hielt die Kutsche vor einem Stadttor, und der Graf gab den dortigen Wachposten Auskunft, wer er war und was er hier wollte. Kurz darauf passierte der Wagen das Tor und blieb schließlich vor einem düsteren, ganz aus Stein erbauten Haus stehen, das auf Gisela schrecklich abweisend wirkte. Als Renitz sie aufforderte auszusteigen, bekam sie es mit der Angst zu tun.
»Hier leben Nonnen, die sich deiner annehmen werden. Nach Ostern lasse ich dich wieder nach Renitz bringen«, erklärte er ihr.
In Giselas Ohren klang das wie ein Verbannungsurteil. Sie würde mindestens fünf Monate hierbleiben müssen, und möglicherweise vergaß der Graf bis dahin ganz, sie zu holen. Mit Tränen in den Augen nahm sie ihr Bündel vom Kutscher entgegen und folgte dem Grafen zu einer schlichten Pforte.
Als Renitz den Türklopfer anschlug, wurde eine Klappe geöffnet, und eine ältere Nonne blickte heraus. Noch bevor sie etwas sagen konnte, wies der Graf auf das Mädchen.
»Mein Name ist Renitz. Ich habe der Frau Oberin einen Brief geschrieben, in dem es um dieses Mädchen hier geht. Ihre Mutter hat es mir anvertraut. Aber da die Kleine katholisch ist und es bleiben soll, bringe ich sie zu euch.«
Die Nonne in ihrem schwarzen Kleid und der ausladenden Flügelhaube sah Gisela mit einem leichten Schnauben an und wurde erst zugänglicher, als Renitz ihr zusicherte, die Kosten zu begleichen, die Gisela dem Kloster verursachen würde. Daraufhin öffnete sie die Pforte, ließ den Grafen ein und winkte Gisela, ebenfalls hereinzukommen. Ohne ein weiteres Wort führte sie die beiden durch einen nur spärlich erleuchteten Gang und rief vor einer Tür mit lauter Stimme nach einer Mitschwester.
Die Nonne, die nun erschien, war um einiges jünger als die Pförtnerin und neigte den Kopf, um ihre Achtung vor der Älteren zu bekunden.
»Kümmere dich um das Kind, Schwester Magdalena. Ich führe Graf Renitz zu unserer ehrwürdigen Mutter Oberin«, erklärte die Pförtnerin und bat den Grafen, ihr zu folgen.
Schwester Magdalena blickte lächelnd auf Gisela herab. »Die Mutter Oberin hat bereits angekündigt, dass du kommst, und mir die Obsorge für dich aufgetragen. Daher werde ich dich mit den Regeln unserer kleinen Klostergemeinschaft vertraut machen und dir den nötigen Unterricht erteilen. Graf Renitz soll mit dir zufrieden sein, wenn er dich wieder holen lässt.«
»Ich glaube nicht, dass er das tun wird«, entfuhr es Gisela, die damit ihre Ängste verriet.
Schwester Magdalena strich ihr sanft über den Kopf. »Er wird es gewiss tun. Immerhin hat er uns eine löbliche Spende versprochen, wenn wir uns deiner für die nächsten Monate annehmen. Für einen Ketzer ist er ein durch und durch ehrenwerter Herr. Nur wenige Edelleute hätten sich dem Wunsch deiner Mutter gebeugt und dich katholisch bleiben lassen. Daher bist du ihm zu höchstem Dank verpflichtet.«
Nun konnte Gisela ihre Tränen nicht zurückhalten. »Ich bin sehr froh, dass er sich meiner angenommen hat, nachdem meine Eltern gestorben sind.«
»Weine ruhig! Es tut gut, alle Bitterkeit im Herzen mit Tränen fortzuspülen«, sagte Schwester Magdalena lächelnd. »Doch nun müssen wir uns um deine Unterkunft kümmern. Wir
Weitere Kostenlose Bücher