Das goldene Ufer
besaß er nicht das Geld, um ihn abzuschicken, daher würde er ihr das Schreiben erst bei ihrer Rückkehr geben können. Doch in dieser für ihn so entscheidenden Stunde wollte er seine Gedanken mit ihr teilen.
Dritter Teil
Studentenstreiche
1.
L uise Frähmke trat auf den Vorplatz und schüttelte unwillig den Kopf. »Gisela, warum hängen die Girlanden noch nicht über dem Portal? Der junge Herr wird gleich kommen.«
Sofort eilte das junge Mädchen an ihre Seite. Gisela war in den knapp sechs Jahren, die seit der Schlacht von Waterloo vergangen waren, zu einem hübschen Mädchen geworden. Sie war schlank und mittelgroß, hatte ein zart geschnittenes Gesicht, fröhlich blitzende Augen und einen schwarzen, vom Kopftuch nur unvollkommen gebändigten Haarschopf. »Wir sind gleich so weit, Frau Frähmke. Aber wir haben noch Zeit. Förster Stoppel hat versprochen, einen Schuss abzugeben, wenn er Walther und Graf Diebold am Waldeck sieht – und das hat er noch nicht getan. Von dem Augenblick an bleibt uns eine Viertelstunde Zeit, und in der haben wir die Girlanden aufgehängt. Außerdem frage ich mich wirklich, weshalb wir diesen Aufwand betreiben sollen. Graf Diebold und Walther waren doch nicht im Krieg, sondern haben nur an einer militärischen Übung teilgenommen.«
»Wir tun es, weil Ihre Erlaucht es befohlen hat. Ob der junge Herr nun von einer Militärübung oder von sonst woher kommt, geht uns nichts an.«
Zwar hatte die Mamsell ihre Helferin tadeln wollen, aber Gisela lachte nur übermütig und eilte die Treppe zum Dienstboteneingang hinab, der sich seitlich unter der breit auslaufenden Freitreppe befand. Von dort konnte Frau Frähmke kurz darauf hören, wie das Mädchen andere Mägde dazu antrieb, die Girlande hochzubringen.
Bin ich froh, dass ich Gisela habe, dachte die Mamsell dankbar. Sie spürte die Jahre, die auf ihr lasteten, und ihr war bewusst, wie viel liegenbliebe, würde das Mädchen nicht ständig dafür Sorge tragen, dass die Mägde die ihnen aufgetragene Arbeit erledigten. Gräfin Elfreda war streng und bestrafte jeden Fehler umgehend. Zum Leidwesen der Mamsell nahm sie sich jedoch nicht immer die Schuldigen zur Brust, sondern griff sich die Leute wahllos heraus. Mittlerweile war es auch sinnlos geworden, die Unterstützung des Grafen zu erlangen zu versuchen, denn Medard von Renitz verbrachte den größten Teil des Tages in seinem Schreibzimmer und las in alten Büchern. Nun fragte die Mamsell sich, ob ihr Herr wenigstens an diesem Tag, an dem sein Sohn nach drei Monaten vom Militär zurückkam, das Zimmer verlassen und ihn auf der Freitreppe willkommen heißen würde.
Gisela brachte inzwischen mit ihren Helfern die Girlanden an und trat mit zusammengekniffenen Augen ein Stück zurück. »Ich glaube, so kann man es lassen«, erklärte sie und zuckte im nächsten Augenblick zusammen, weil der Knall eines Schusses herüberdröhnte.
Dann aber lachte sie über sich selbst. »Das war Förster Stoppel! Graf Diebold ist gleich hier. Los, hurtig ans Werk, damit wir fertig werden. Oder soll Ihre Erlaucht Grund zur Klage haben?«
»Lieber nicht! Die Herrin ist mir zu rasch mit der Rute bei der Hand«, murmelte eine Magd und verschwand im Haus.
Gisela folgte ihr und vergewisserte sich in der Küche, dass der Imbiss, der auf Befehl der Gräfin dem jungen Herrn nach dessen Ankunft vorgesetzt werden sollte, auch deren Ansprüchen genügte. Daraufhin trat sie zu jenen Dienern und Mägden, die in ihren Sonntagskleidern das Spalier für den jungen Herrn bilden sollten. Sie schalt eine Magd, deren Kopftuch nicht richtig saß, und trat dann zum Fenster, um Ausschau zu halten.
Schon bald entdeckte sie in der Ferne zwei Reiter. Graf Diebold war Walther ein ganzes Stück voraus und ritt im Galopp auf das Schloss zu. Dabei schwenkte er seinen Hut und stieß einen lauten Ruf aus.
»Er ist immer noch derselbe Tollkopf wie früher«, sagte Cäcilie verächtlich. Die Köchin mochte den großspurig auftretenden Sohn des alten Herrn nicht, während einige der Mägde für Graf Diebold geradezu schwärmten. »Wenigstens muss ich nicht mit hinaus und mich für den jungen Herrn zum Affen machen«, setzte sie hinzu und kehrte an ihren Herd zurück.
Gisela nahm zwei Becher mit Wein, um die beiden Reiter mit einem Trunk zu begrüßen, und stellte sich an den Anfang des Spaliers. Kaum hatte sie die Reihe der Dienstboten ausgerichtet, preschte Graf Diebold bereits in voller Uniform auf den Vorplatz, zügelte seinen Gaul
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