Das goldene Ufer
Diebold seiner Mutter bei.
»Das war etwas anderes«, erklärte der alte Herr eisig. »Ich habe für unser Deutschland gekämpft und nicht für irgendeinen Hohenzollern in Berlin. Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es für einen Renitz nur einen Herrn, der über ihm stand, und das war der römisch-deutsche Kaiser in Wien. Zuerst hat man uns die Reichsfreiheit genommen und dann das Reich zerstört. Zu den Totengräbern zählt nicht zuletzt Preußen. Soll ich es dafür lieben?«
Die Gräfin warf ihrem Sohn einen kurzen Blick zu, in dem sie keinen Hehl daraus machte, was sie von solch bornierten Ansichten hielt. Dann wandte sich wieder an ihren Gemahl. »Ihr müsst Preußen nicht lieben! Aber es ist Eure Pflicht, seinen König, unseren neuen Souverän, zu achten und dafür sorgen, dass unser Sohn den ihm zustehenden Rang in seinem Reich einnimmt.«
»Diebold wird zuerst studieren. Wenn es ihn hinterher immer noch drängt, ein Preußenknecht zu werden, steht es ihm frei. Aber dann wird er erleben, dass auch ein Offizier Bildung benötigt, wenn er am Hof geachtet werden will.«
Graf Renitz ermüdete dieses Thema sichtlich, doch Diebold ließ nicht locker.
»Ich könnte auch an der Militärakademie studieren, Herr Vater. Damit würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Bislang war Walther dem Disput ohne besonderes Interesse gefolgt, doch nun sah er Graf Renitz erschrocken an. Wenn dieser seinem Sohn nachgab und ihn zur Akademie schickte, würde er nicht studieren dürfen. Dann würde er ein Knecht bleiben und war verurteilt, sich zeitlebens von Graf Diebold schikanieren zu lassen.
Zu seiner Erleichterung schlug der alte Herr mit der flachen Hand auf die Lehne seines Sessels. »Es geschieht so, wie ich es bestimmt habe!«
Die Gräfin versuchte, die Entscheidung ihres Mannes umzustoßen, so wie es ihr schon bei vielen Dingen gelungen war. »Ich finde Diebolds Vorschlag akzeptabler als Eure Pläne!«, sagte sie fordernd.
Doch Renitz blieb hart. »Es ist beschlossen. In zwei Wochen brechen unser Sohn und Walther nach Göttingen auf, um dort zu studieren. Noch etwas, Diebold! Behandle Walther nicht weiterhin wie einen Diener. Er hat einen klugen Kopf auf den Schultern und wird dir, wenn ich einmal nicht mehr bin, eine unerlässliche Stütze sein!«
Diebold kommentierte die Worte seines Vaters mit einem Schnauben, und seine Mutter sah aus, als würde sie Walther am liebsten zum Teufel jagen. Verärgert zog sie sich zurück.
Graf Renitz achtete nicht mehr auf sie, sondern musterte die beiden jungen Männer. »Ich habe Pastor Künnen bereits nach Göttingen geschickt, damit er euch an der Universität einschreiben lässt und ein Quartier besorgt. Ich erwarte, dass ihr fleißig lernt und mir keine Schande macht!«
Bei den letzten Worten blickte der alte Herr seinen Sohn an, dessen Verhalten ihn schon öfter erzürnt hatte. Nicht zuletzt deswegen wollte er Diebold den besonnenen und klugen Walther zur Seite stellen. Zufrieden mit seiner Entscheidung entließ Graf Renitz seinen Sohn, hielt aber Walther zurück.
»Ich habe mit dir zu reden«, erklärte er kühl.
Verwirrt blieb Walther stehen. Renitz wartete, bis die Tür hinter Diebold ins Schloss gefallen war, und blickte dem jungen Mann ins Gesicht.
»Ich wünsche, dass du auf meinen Sohn achtgibst, Walther. Er mag zwar der Ältere von euch beiden sein, doch du bist der Verständigere. Die Erziehung durch meine Gemahlin hat ihm nicht gutgetan. Wie es aussieht, hat sie ihm während meiner Abwesenheit viel zu viel durchgehen lassen!«
Walther breitete hilflos die Arme aus. »Verzeiht, Euer Durchlaucht, doch ich bin nicht der Mensch, der Graf Diebold etwas verbieten könnte.«
»Du sollst ihm ja auch nichts verbieten, sondern ihm ins Gewissen reden und durch dein Verhalten ein Vorbild sein.« Ohne sich einzugestehen, dass dies Walther angesichts des Charakters seines Sohnes kaum gelingen konnte, verabschiedete der Graf den jungen Mann ebenfalls und hing wieder seinen Tagträumen nach. In denen saß er nicht tagein, tagaus krank in einem Ohrensessel, sondern führte hoch zu Ross sein Regiment an. In seiner Phantasie lebten noch alle, die einst unter ihm gedient hatten. Da war Waldemar Fichtner, sein einstiger Förster und erster Wachtmeister im Regiment, dessen Gebeine in Wahrheit irgendwo im Russischen Reich in der Sonne bleichten, aber auch Josef Fürnagl, der dann bis zur Schlacht von Waterloo sein erster Wachtmeister gewesen war, und dessen Frau
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