Das goldene Ufer
Diebold ihn aus nichtigem Anlass mit verletzenden Bemerkungen bedacht hatte. Zwar war er kein Knabe mehr, den man nach Belieben herumstoßen konnte, sondern galt als erwachsen, aber der junge Renitz behandelte ihn wie ein unverständiges Kind. Daher würde es für ihn nicht einfach werden, zusammen mit Diebold die Universität zu besuchen. Ihm graute davor, aber er würde durchhalten müssen, bis Diebold und er das Studium geschafft hatten. Was danach kam, wollte er sich sehr genau überlegen. Einerseits fühlte er sich Graf Renitz verpflichtet, in dessen Diensten zu bleiben, andererseits konnte er sich nach den drei Monaten beim Militär, in denen Diebold ihn als persönlichen Leibeigenen benutzt hatte, nicht vorstellen, auf Renitz alt zu werden oder sogar eine Familie zu gründen.
Nachdenklich reichte er den Becher zurück, streifte seine Zukunftssorgen ab und setzte ein Lächeln auf. »Danke, Gisela! Bist ein braves Mädchen.«
Er ging zum Dienstboteneingang hinunter, da die Gräfin es allen außer der Mamsell, ihrer Zofe und dem Leibdiener des Grafen verboten hatte, ohne ausdrückliche Erlaubnis das Hauptportal des Schlosses zu benützen.
Gisela sah ihm seufzend nach. Wie es aussah, hielt Walther sie immer noch für das kleine Mädchen, dem er auf dem Marsch nach Waterloo aus dem Schlamm herausgeholfen hatte. Dabei war sie fast schon erwachsen und hatte von Cäcilie gehört, dass sie im Begriff sei, eine sehr hübsche Jungfer zu werden.
Auch Walther war nicht mehr der magere Junge, den sie damals kennengelernt hatte. Zwar hatte er nicht Graf Diebolds lang aufgeschossene Gestalt, war aber in den Schultern breiter, und sein zumeist ernstes Gesicht mit dem dunkelblonden Schopf gefiel ihr weitaus besser als der längliche Schädel des jungen Grafen mit dem schwach ausgeprägten Kinn, den blassen, leicht vorquellenden Augen und den dünnen, hellblonden Haaren.
Als Gisela begriff, wohin sich ihre Gedanken verirrten, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Noch fühlte sie sich zu jung, um an mehr als eine unschuldige Freundschaft zu denken. Außerdem musste sie sich Walther von vornherein aus dem Kopf schlagen. Selbst wenn er Interesse an ihr hätte und sie später vielleicht sogar heiraten wollte, wie sie es sich als Kind manchmal vorgestellt hatte, würde sie dafür ihrem katholischen Glauben entsagen und protestantisch werden müssen. Das aber wäre ein Verrat an ihrer Mutter. Mit einem Seufzer kehrte sie an ihre Arbeit zurück.
Der junge Herr hatte sich mittlerweile umgezogen und gespeist. Daher schickte die Gräfin ihre Zofe zum Diener ihres Gemahls, um zu fragen, ob Medard von Renitz bereit sei, seinen Sohn zu empfangen.
Die Zofe kehrte rasch zurück und knickste vor ihrer Herrin. »Seine Erlaucht bittet Graf Diebold, aber auch Walther vor ihm zu erscheinen.«
»Walther? Weshalb das denn?« Auf Gräfin Elfredas Gesicht machte sich Unmut breit. Ihres Erachtens wäre es bei weitem genug des Guten gewesen, den Försterbalg so lange von Pastor Künnen unterrichten zu lassen, bis er eine Aufgabe auf den zu Renitz zählenden Gütern hätte übernehmen können. Ihn mit Diebold nach Göttingen zu schicken und dort gar zusammen mit dem eigenen Sohn studieren zu lassen, hielt sie für überflüssig. Doch sie konnte es nicht unterbinden. Ihr Gemahl hatte ihr zwar die Herrschaft über den Besitz überlassen, aber in gewissen Dingen war er starrsinnig. Daher schickte sie einen Lakaien los, Walther zu holen.
Als dieser sich kurz darauf vor ihr verbeugte, hatte er sich umgezogen, war aber noch nicht dazu gekommen, etwas zu essen. Da er den alten Herrn jedoch nicht warten lassen durfte, verdrängte er den Gedanken an seinen knurrenden Magen und folgte der Gräfin und dem jungen Grafen zu Renitz’ Gemächern.
Der Graf saß mit umgeschlagener Decke in einem Ohrensessel. Er grüßte die Eintretenden mit einem Nicken und musterte dann die Uniform seines Sohnes mit einem gewissen Spott. »Muss ich annehmen, dass du dich jetzt ganz dem Dienst für König und Vaterland verschrieben hast?«
»Aber nein! Ich bin immer noch Reservist, nun aber als Leutnant und nicht mehr als Fähnrich!« Diebold verhehlte kaum seinen Ärger, dass sein Vater bis zum Generalmajor aufgestiegen war, ihn aber an einer Karriere bei der Armee hinderte.
Auch die Gräfin blickte missbilligend auf ihren Gemahl herab. »Ich dachte, es freut Euch, dass unser Sohn die ihm zustehenden Ehren erhalten hat.«
»Immerhin wart Ihr selbst Offizier«, sprang
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