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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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nahm ihr verwundert den Brief ab, um die Stelle selbst zu lesen. Doch statt etwas zu finden, das dem Mädchen hätte Kummer zufügen können, entdeckte sie nur Walthers aufrichtige Bereitschaft, ihrem Schützling in allen Belangen des Lebens beizustehen. Obwohl sie wusste, wie sehr die beiden sich seit Kindertagen mochten, überraschte sie die Innigkeit, die aus den Worten des jungen Mannes sprach. Sollten die beiden ein heimliches Liebespaar sein?, fragte sie sich, verwarf diesen Gedanken jedoch gleich wieder. Dafür war Gisela noch zu jung und naiv. Auch hielt sie Walther nicht für fähig, ähnlich wie Diebold Dinge von einem Mädchen zu verlangen, die diesem zuwider waren.
    Sanft legte sie den Arm um Gisela und zog sie an sich. »Walther ist ein guter Junge. Ich weiß, du bist noch etwas zu jung dazu, um darüber zu sprechen. Doch vielleicht heiratet er dich, und schon kann Seine Hochwohlgeboren, wie du ihn nennst, dir nicht mehr nachstellen.«
    Für einen Augenblick gab Gisela sich dieser Vorstellung hin, dann aber schüttelte sie heftig den Kopf. »Dafür müsste ich meinem Glauben entsagen, und das darf ich nicht!«
    »Gott ist es gewiss gleichgültig, ob du nun als Katholikin oder Protestantin ins Himmelreich einziehst«, sagte die Mamsell, konnte Gisela aber nicht umstimmen.
    Diese löste sich aus ihren Armen, wischte die Tränen ab und wies zum Wald hinüber. »Ich werde ins Forsthaus gehen. Herr Stoppel braucht gewiss wieder Lebensmittel.«
    »Geht es ihm immer noch so schlecht?«, fragte Frau Frähmke.
    »Es ist besser als im Winter, doch seine Schwäche will nicht weichen. Er ist kaum in der Lage, seinen Dienst zu versehen. Und das muss er, sonst entlässt Ihre Erlaucht ihn und er steht auf der Straße.« Gisela schniefte angesichts der offensichtlichen Ungerechtigkeit auf der Welt.
    Die Mamsell sah Gisela fragend an. »Was fehlt ihm wirklich? Nicht, dass es sich doch um eine ansteckende Krankheit handelt, die auch dich erfasst. Ich würde mir sonst zeit meines Lebens Vorwürfe machen, dich zu ihm geschickt zu haben!«
    »Stoppel glaubt, dass es noch eine Folge des Feldzugs nach Russland ist. Dieser, sagt er, hätte ihm das Mark aus den Knochen gesogen, und seitdem ist er nicht mehr der, der er war.«
    Gisela war mit Mutter und Vater in Russland gewesen und hatte Napoleon scheitern sehen. In manchen Nächten träumte sie von der Not und dem Hunger, die sie gelitten hatten, und nun fragte sie sich, ob auch sie gleich dem Förster den Keim des Verderbens in sich trug und über kurz oder lang krank werden und sterben würde. Vielleicht, dachte sie, wäre es besser so. Dann wäre sie mit ihrem Vater und ihrer Mutter im Himmel vereint und müsste sich nicht mehr vor Graf Diebolds Rückkehr fürchten. Allerdings würde Walther darüber traurig sein, und das wollte sie nun auch wieder nicht.

4.
    W alther hatte die Ferien als Laufbursche für Diebold und dessen Mutter verbracht und kehrte daher mit einem Gefühl der Erleichterung nach Göttingen zurück. Die Professoren mochten streng sein, doch dort war er ein Student unter vielen. Die Zusatzarbeit, die er für Diebold leisten musste, kam ihm sogar zugute, förderte sie doch sein eigenes Wissen.
    Seit dem letzten Semester hatte sich einiges an der Universität geändert. Neue Studenten hatten sich für das erste Semester eingeschrieben, während er, Diebold und die anderen in das zweite Semester aufgerückt waren. Zu seinem Bedauern war Stephan Thode nicht nach Göttingen zurückgekehrt. Auf einen Brief, den Walther an die Adresse seiner Mutter schrieb, antwortete er ausweichend, so als wolle er nicht, dass jene, die ihn an der Georg-August-Universität kennengelernt hatten, erfuhren, wie sich sein weiterer Lebensweg gestaltete.
    Walther bedauerte den Verlust seines Freundes, zumal Landolf immer stärker in den Aktivitäten seiner Burschenschaft aufging und sie sich im Grunde nur noch bei den Vorlesungen trafen.
    Diebold erging es jedoch noch schlechter als ihm, denn die älteren Studenten, denen er sich anfangs angeschlossen hatte, waren nach ihrem Abschluss in ihre Heimat zurückgekehrt. Da er anders als Walther seine Zeit nicht in das Studium steckte, musste er sich nun neue Freunde suchen, tat sich aber schwer, denn er konnte den meisten Adelssöhnen nicht verständlich machen, warum er an einem schönen Sommerabend bereits um acht Uhr abends zu Hause sein musste. Bald aber fand er einen Ausweg, der ihm überdies noch zusagte. Von seiner Mutter gut mit

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