Das goldene Ufer
Kopf. »Das geht nicht. Einer von euch muss jetzt in den Saal, und das wirst du sein.«
»Ihre Erlaucht hat heute wieder besonders komische Wünsche!« Mit dieser schnippischen Antwort verließ Gisela Walther und die Mamsell. Im Augenblick empfand sie Eifersucht auf ihre mütterliche Freundin, die Walther gleich im Arm halten würde, dann lachte sie über sich selbst. Immerhin würde auch sie noch am gleichen Tag um einiges ausgiebiger mit Walther tanzen.
Während Gisela im großen Saal die Lakaien beaufsichtigte und dabei diplomatisch einen Streit um die Sitzordnung zwischen zwei Damen schlichtete, führte Luise Frähmke Walther in die Nähstube, räumte dort die Tische beiseite und streckte die Arme aus.
»Komm jetzt, Junge, und sei nicht so schüchtern! Frauen beißen im Allgemeinen nicht. Du willst doch zusammen mit Gisela einen guten Eindruck machen. Oder sollen die Gäste über den Tölpel lachen, der zu ihrer Belustigung über das Parkett stolpert?«
»Nein, das sollen sie nicht!« Walther umfasste die Frau mit beiden Armen und folgte ihrem Rat, wie und in welcher Reihenfolge er die Füße bewegen sollte.
»Da machst das ganz gut«, befand die Mamsell nach ein paar Minuten. »Jetzt will ich sehen, ob ich die Melodie dazu zustande bringe, damit du dem Takt folgen kannst.«
Just in diesem Augenblick öffnete eine der Küchenmägde die Tür, um nach der Mamsell zu suchen. Als sie diese mit Walther tanzen sah, schüttelte sie den Kopf und ging wieder. In der Küche aber platzte sie lauthals heraus.
»Da denkt man, am heutigen Tag müsste Frau Frähmke im Grunde überall sein, um nach dem Rechten zu sehen. Stattdessen tanzt sie im Nähstübchen mit dem Förster und singt auch noch dabei!«
Zunächst wunderte Cäcilie sich ebenfalls, doch als eine andere Magd ihr erklärte, die Gräfin habe verlangt, dass Walther und Gisela den Tanz eröffnen sollten, lachte sie schallend. »Das siehst du falsch, Rina. Die Mamsell verhindert gerade, dass das Fest in eine Katastrophe mündet. Ich wünschte, wir hätten Walther öfter zu uns eingeladen, damit er tanzen lernt. So hat der Bursche bei den Dorffesten nur mit einem Krug Bier in der Ecke gesessen und euch beim Tanzen zugesehen.«
»Ich hätte es ihm gerne beigebracht. Er ist ja auch ein so stattlicher Mann«, meinte die Magd und kicherte.
»Das stimmt wohl«, lächelte Cäcilie und nahm sich vor, auf jeden Fall heimlich zuzusehen, wenn Gisela und Walther an diesem Abend zum ersten Mal miteinander tanzten.
6.
F ür einen ländlichen Ball war das Fest auf Renitz ein großer Erfolg. Selbst Graf Medard, der seiner Gemahlin zunächst nur zögernd zugestimmt hatte, war so entspannt wie lange nicht mehr. Er freute sich an Gesprächen mit alten Kameraden, trank genussvoll mehrere Gläser Wein und sprach den Speisen mit einem Appetit zu, den seine Gemahlin ihm häufiger gewünscht hätte. Ein weiterer Grund für seine gute Laune war, dass seine Gemahlin ihre Abneigung gegen Gisela und Walther abgelegt zu haben schien. Die beiden kümmerten sich höflich und zuvorkommend um die Gäste und sorgten dafür, dass sich jeder wohl fühlen musste.
Beim Mahl ärgerte sich der Graf, dass seine Ehefrau am anderen Ende der langen Tafel saß, denn er hätte sich gerne bei ihr für das gelungene Fest bedankt. Der Stolz darüber war ihr anzumerken, und nun bedauerte Renitz es, dass seine Krankheit sie daran gehindert hatte, schon früher Gäste einzuladen.
»Schade, dass Euer Sohn in der Ferne weilt«, sprach seine Tischnachbarin ihn an, die mit fünf Töchtern gesegnet war und die älteste gerne an den Mann gebracht hätte.
»Mir erschien es wichtig, dass Diebold die Welt kennenlernt und dabei nicht von einem Ort zum anderen hetzen muss, sondern sich in aller Ruhe umsehen kann«, antwortete Medard von Renitz, als hätte er sich niemals darüber geärgert, dass sein Sohn den Aufenthalt in der Fremde eigenmächtig verlängert hatte. »Außerdem stellt seine Rückkehr einen guten Grund für ein weiteres Fest auf Renitz dar, findet Ihr nicht auch?«
»Selbstverständlich!« Die Dame lächelte zufrieden. Immerhin war dies eine halbe Einladung, und sie beschloss, sowohl den Grafen wie auch dessen Gemahlin auszuhorchen, um zu erfahren, wie diese sich ihre Schwiegertochter vorstellten, damit ihre Älteste diesem Bild entsprechen konnte.
Unterdessen überwachten Walther und Gisela die Lakaien, die den Gästen aufwarteten, und griffen selbst ein, wenn es sein musste. Für Gisela war es
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