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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sogar, was bei ihm noch seltener vorkam als bei Walther, und da er sie nicht ansprach, nahm sie an, dass er irgendwelchen Gedanken nachhing.
    Dies war auch der Fall. Medard von Renitz erinnerte sich an ein Fest vor dem letzten Feldzug gegen Napoleon. Damals hatten er und die Offiziere seines Regiments sich zu den Unteroffizieren und Mannschaften gesellt und mit diesen zusammen gefeiert. Dabei war auch getanzt worden, und bei einem dieser Tänze hatte er Giselas Mutter in den Armen gehalten. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie sehr das Mädchen der Wachtmeisterin glich. Sie hatte die gleiche Figur, den gleichen Gesichtsschnitt und ebenfalls das volle, rabenschwarze Haar. Nur die hellen Augen hatte Gisela von ihrem Vater geerbt, jenem baumlangen Wachtmeister namens Josef Fürnagl, der nicht mehr für Bayern hatte kämpfen wollen, weil König Maximilian sich nach Napoleons gescheitertem Russland-Feldzug nicht sofort von diesem losgesagt hatte.
    Als der Tanz zu Ende war, neigte Renitz kurz das Haupt in Giselas Richtung und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Erschöpft forderte er einen Diener auf, ihm ein Glas Wein zu bringen.
    Auch Walther und Gisela hofften auf eine Erfrischung, doch da hob Gudula von Techan die Hand. »Meine Damen, meine Herren, dies ist doch ein ländliches Fest. Ich finde, dass die Kapelle weiterhin zu Volkstänzen aufspielen soll. Es wäre darüber hinaus gewiss eine angenehme Sache, wenn unsere Schäferin mit den einzelnen Herren und unser Jäger mit uns Damen tanzen würde.«
    »Eine ausgezeichnete Idee, meine Liebe!« Elfreda von Renitz klatschte erneut Beifall und sagte sich, dass man ihrem Tanz mit Walther weniger Bedeutung beimessen würde, wenn alle Damen mit ihm tanzten.
    Einer alten Dame war dies nicht recht. »Es geht nicht an, dass ein schlichter Jäger die jungen, noch unverheirateten Damen zum Tanz führt. Das könnte diese in Verwirrung stürzen.«
    »Aber das ist doch selbstverständlich, Eure Durchlaucht«, erklärte Gudula von Techan und änderte das »Durchlaucht« im Stillen in »alter Drachen« um. »Ich bin sogar dafür, auch verheiratete Damen, die bisher die Familienpflicht noch nicht erfüllt haben, von dem Tanz mit dem jungen Jäger auszuschließen.«
    Einige Damen mittleren Alters stimmten ihr zu, während die jüngeren vehement protestierten. Schließlich einigte man sich, dass alle verheirateten weiblichen Gäste das Recht auf einen Tanz mit Walther freihätten und alle verheirateten Herren mit Gisela. Den anwesenden Jünglingen gefiel dies wenig, doch sie mussten sich dem Diktat der Älteren beugen.
    Gisela und Walther verfolgten das Ganze mit wachsendem Ärger. Sie hatte an diesem Tag nicht einmal zu Mittag essen können, und Walther war trotz des Korbs voller Lebensmittel hungrig geblieben, weil der lange Weg zum Forsthaus und zurück zu viel Zeit gekostet hatte. Ebenso wie Gisela war er davon ausgegangen, zwischendurch in der Küche essen zu können. Das aber war ihnen noch immer nicht vergönnt. Zudem fanden sie es erniedrigend, wie über sie bestimmt wurde, denn niemand fragte, ob es ihnen recht sei, weiter zu tanzen.
    »Das darf doch nicht sein!«, stöhnte Walther und erwog, den Saal einfach zu verlassen. Doch wenn er das tat, würde er seinen Posten als Förster verlieren und nur noch als einfacher Knecht arbeiten dürfen.
    »Wir sind den Launen dieser Leute hilflos ausgeliefert«, gab Gisela missmutig zu, denn sie hatte ebenfalls über einen Ausweg nachgedacht, aber keinen gefunden.
    »Auf jeden Fall werden wir noch länger mit dem Essen warten müssen!« Damit brachte Walther Gisela zum Schmunzeln.
    »Wenn es nicht mehr ist«, sagte sie.
    Im nächsten Moment sah sie sich einem ältlichen Galan gegenüber, der sie, ohne zu fragen, in die Arme riss. »Nun wollen wir mal, mein schönes Kind!«
    Gisela merkte ihm an, dass er auf mehr hoffte als nur auf einen Tanz, doch da würde er eine Enttäuschung erleben.
    Als die Kapelle zu spielen begann, sicherte Gudula von Techan sich Walther als Partner.
    »Ein schönes Fest, nicht wahr?«, fragte sie ihn, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
    »Nicht, wenn man vor Angst vergeht, den Damen auf die Füße zu steigen.«
    Diese Antwort ließ die Dame hell auflachen. »Ich hoffe, dass du das nicht tust, ich habe nämlich ganz zarte Füße!«
    Gudula von Techan merkte jedoch rasch, dass sie sich keine Sorgen machen musste, denn Walther bewegte sich mit einer natürlichen Geschmeidigkeit, die den meisten der adeligen Herren um sie

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