Das goldene Ufer
lag nicht zuletzt an Gisela, die jede seiner Bewegungen zu ahnen schien und sich ihnen anpasste.
Graf Renitz sah den beiden zu und wippte unwillkürlich mit dem Fuß im Takt der Melodie. Er hatte früher nur selten getanzt und es seit seiner Entlassung in den Ruhestand überhaupt nicht mehr getan. Nun fragte er sich, ob dies ein Fehler gewesen war. Vielleicht wäre die Entfremdung zwischen ihm und seiner Frau nicht so groß geworden, wenn er mehr mit ihr gefeiert hätte. Dann aber zuckte er mit den Schultern. Er hatte seine Pflicht erfüllt und seinem Vaterland im Krieg gedient. Dies wog seiner Meinung nach mehr als alle Vergnügungen der Welt.
Seine Gemahlin betrachtete ebenfalls das tanzende Paar und wünschte sich mit schmerzhafter Intensität, an Giselas Stelle zu sein. Zwar genoss sie als Gräfin Renitz eine angesehene Stellung in der Gesellschaft und die Macht über etliche hundert Bedienstete auf diesem und den anderen Gütern, die zu den Besitzungen ihres Mannes zählten. Der Wunsch, von starken Männerarmen umfangen zu werden, war jedoch nie gestillt worden.
Gisela kämpfte derweil mit widerstrebenden Gefühlen. Zum einen war sie glücklich, mit Walther tanzen zu können, und wünschte sich, die Kapelle würde niemals aufhören zu spielen. Gleichzeitig aber sagte sie sich, dass es keine Erfüllung für sie geben konnte. Walther würde seinen Posten als Förster auf Renitz verlieren, wenn er eine Katholikin heiratete. Doch für sie kam ein Glaubenswechsel nicht in Frage. Oder doch? Zum ersten Mal wurde sie schwankend. Würde Gott nicht ein Einsehen mit ihr haben und sie nicht in die Hölle verdammen, wenn sie es tat? Schließlich war Walther alles, was sie sich vom Leben wünschte. Doch wollte er sie überhaupt? Auf diese Frage wusste sie keine Antwort, und das tat ihr weh.
Obwohl Walther es wider Erwarten genoss, mit Gisela zu tanzen, war er froh, als die Musik schließlich endete und er sich vor den Gästen verbeugen konnte. Neben ihm versank Gisela in einen graziösen Knicks, der bei so mancher jungen Dame Neid erregte.
»Ich hoffe, wir können jetzt in die Küche hinunter. Ich habe einen Riesenhunger«, raunte Walther Gisela zu.
»Nicht nur du«, antwortete sie ebenso leise.
Doch sie warteten vergebens auf die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Stattdessen erhob sich die Gräfin Renitz und forderte ihren Gemahl auf, es ihr gleichzutun. Demonstrativ Beifall klatschend trat sie auf Gisela und Walther zu. Sie lächelte, doch wirkte ihre Miene wie die einer Katze vor dem Sprung auf die Maus.
»Ihr habt schön getanzt. Daher wird euch die Ehre zuteil, auch den zweiten Tanz zu eröffnen.«
Noch während Gisela froh Walthers Blick suchte, zerstörten die weiteren Worte der Gräfin ihre Vorfreude.
»Und zwar wird Gisela von meinem Gemahl auf das Parkett geführt, und bei mir wird es unser Jäger Walther sein.« Mit diesen Worten reichte sie dem völlig verblüfften Walther den Arm.
Eine der anwesenden Damen verzog missbilligend das Gesicht. »Gräfin Elfreda scheint sich sehr viel aus diesem Jäger zu machen.«
»Warum nicht? Er sieht schmuck aus und ist jung und kräftig, was man von ihrem Gemahl nicht gerade behaupten kann«, antwortete Gudula von Techan und beschloss, dafür zu sorgen, dass der Jäger beim nächsten Tanz ihr Partner sein würde.
Elfredas Griff war fordernd, und Walther bemerkte, dass sie hastiger atmete, als es dem Tanz geschuldet gewesen wäre. Doch er wurde aus ihrer Haltung nicht klug. All die Jahre hatte sie ihn im besten Fall ignoriert und ihm ansonsten oft genug gezeigt, auf welchen Platz er gehörte. Jetzt mit ihr im Takt der Musik über das Parkett zu gleiten erschien ihm so widersinnig, dass er die Kapelle insgeheim anflehte, schneller zu spielen, damit es endlich vorbei wäre.
Die Gräfin spürte seine Abwehr, schrieb sie aber seiner jugendlichen Schüchternheit zu. Noch wusste sie nicht, ob sie es bei diesem einen Tanz belassen oder mehr wagen sollte. Wenn sie es tat, musste dies jedoch in aller Diskretion geschehen. Da ihr kaum etwas wichtiger war als ihr guter Ruf in der Nachbarschaft und in der besseren Gesellschaft, wollte sie diesen keineswegs leichtfertig aufs Spiel setzen.
Im Gegensatz zu Walther hatte es Gisela gefallen, mit Graf Renitz zu tanzen. Die Hände des alten Herrn gerieten nicht auf Abwege, wie es bei der männlichen Dorfjugend der Fall war, und obwohl er sich ein wenig steif bewegte, stieg er ihr kein einziges Mal auf die Füße. Er lächelte
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