Das Gottesgrab
makedonischen Bauern enteignet und Fremde auf deren Land angesiedelt. Sie hatten Dörfer zerstört, Massaker und Vergewaltigungen angeordnet und die Makedonier zu Sklaven gemacht, die sich zu Tode arbeiten mussten. Sie hatten eine ethnische Säuberung im großen Stil durchgeführt, ohne dass die restliche Welt auch nur den leisesten Protest verlauten ließ. Doch all dies hatte nichts genützt. Und das war der Punkt. Die Idee der makedonischen Souveränität war noch immer lebendig. Ihre Sprache, ihre Kultur und Religion hatten voller Stolz in der gesamten antiken Region überlebt. Sie lebten weiter in diesen einfachen, aber stolzen Menschen, in den ruhmreichen Opfern, die sie bereits gebracht hatten und die sie für das große Ziel bald wieder bringen würden. Und dann würde sein geliebtes Land endlich frei sein.
« Es wuchs bis zum Sternenheer am Himmel hinauf und warf einige aus dem Sternenheer auf die Erde herab und zertrat sie. Ja, bis zum Gebieter des Himmelsheeres reckte es sich empor, es entzog ihm das tägliche Opfer und verwüstete sein Heiligtum. ‹Und verwüstete sein Heiligtum›», wiederholte der Priester. «Das ist dieses Land. Das ist Makedonien. Das Land eurer Geburt. Seht ihr, es war Demetrios, der Makedonien ins Chaos stürzte. Demetrios. Im Jahre zweihundertzweiundneunzig vor Christus. Merkt euch dieses Datum. Merkt es euch genau. Zweihundertzweiundneunzig vor Christus.»
In Nicolas’ Tasche summte sein Handy. Er gab nur wenigen Leuten seine Nummer, und seiner Assistentin Katerina hatte er die strikte Anweisung erteilt, an diesen Abend keine Anrufe durchzustellen, es sei denn, es handelte sich um einen Notfall. Er stand auf und ging zur hinteren Tür. «Ja?», fragte er.
«Ibrahim Beyumi möchte Sie sprechen», sagte Katerina.
«Ibrahim wer?»
«Der Archäologe aus Alexandria. Ich hätte Sie nicht gestört, aber er hat gesagt, es wäre dringend. Die Ägypter haben etwas gefunden und brauchen sofort eine Entscheidung.»
«Na schön. Stellen Sie ihn durch.»
«Ja, Chef.»
Nach kurzer Pause ertönte eine andere Stimme am anderen Ende der Leitung. «Herr Dragoumis, hier ist Ibrahim Beyumi. Von der ägyptischen Antiquitäten …»
«Ich weiß, wer Sie sind. Was wollen Sie?»
«Sie waren so großzügig gewesen, uns Unterstützung in bestimmten …»
«Sie haben etwas gefunden?»
«Eine Nekropole. Ein Grabmal. Ein makedonisches Grabmal.» Er holte tief Luft. «So wie es mir beschrieben wurde, scheint es genauso zu sein wie die königlichen Grabmäler in Aigai.»
Nicolas presste das Handy an sein Ohr und drehte sich mit dem Rücken zur Kirche. «Sie haben ein makedonisches Königsgrab gefunden?»
«Nein», sagte Ibrahim hastig. «Bisher habe ich nur die Beschreibung eines Bauleiters. Erst wenn ich es selbst untersucht habe, weiß ich mit Sicherheit, was es ist.»
«Und wann werden Sie das tun?»
«Gleich morgen früh. Vorausgesetzt, ich kann es finanzieren.»
Im Hintergrund sprach noch immer der Priester. «Da hörte ich einen Heiligen reden» , intonierte er klangvoll die Bibelverse. « Und ein anderer Heiliger fragte ihn: Wie lange gilt die Vision vom täglichen Opfer, wie lange bleiben die Gräuel der Verwüstung bestehen und werden das Heiligtum und der Ort der Zierde zertreten? Wie lange sollen Makedonien und die Makedonier noch mit Füßen getreten werden? Wie lange noch sollen wir den Preis für die Sünde von Demetrios bezahlen? Erinnert euch, dies wurde dreihundert Jahre vor der Sünde des Demetrios geschrieben, die er im Jahre zweihundertzweiundneunzig vor Christus begangen hat!»
Nicolas hielt sein freies Ohr zu, um sich besser konzentrieren zu können. «Sie brauchen eine Finanzierung, bevor Sie den Fundort untersuchen?», fragte er argwöhnisch.
«Wir sind in einer schwierigen Situation», sagte Ibrahim. «Der Mann, der den Fund gemeldet hat, hat eine sehr kranke Tochter. Er will Geld, bevor er spricht.»
«Aha.» Das unvermeidliche Bakschisch. «Wie viel? Für alles.»
«Sie meinen Geld?»
Nicolas schüttelte genervt den Kopf. Diese Leute! «Ja», erwiderte er übertrieben geduldig. «Ich meine Geld.»
«Kommt darauf an, wie groß die Stätte ist, wie viel Zeit wir haben, welche Artefakte …»
«In amerikanischen Dollar. Tausend, zehntausend oder hunderttausend?»
«Ach so. Normalerweise kostet eine solch dringliche Ausgrabung sechs- oder siebentausend Dollar die Woche.»
«Wie viele Wochen?»
«Das hängt davon ab, ob …»
«Eine? Fünf? Zehn?»
«Zwei.
Weitere Kostenlose Bücher