Das Gottesgrab
seiner Linken Polizeiwagen mit Blaulichtern entlang. Er bog nach rechts ab Richtung Kairoer Zentrum. Die Lichter verblassten und verschwanden dann ganz aus seinem Rückspiegel. Auch auf der Gegenspur der Autobahn rasten Polizeiwagen vorbei. Knox bemerkte, dass er die Luft angehalten hatte. Wohin jetzt? In Kairo konnte er nicht bleiben. Doch er musste auch die Kontrollpunkte vermeiden. Also konnte er weder Richtung Sinai noch in die Libysche Wüste oder nach Süden. Blieb Alexandria. Die Stadt lag nur drei Stunden entfernt im Norden, und von allen ägyptischen Städten mochte Knox sie am liebsten. Außerdem hatte er dort Freunde und musste nicht in einem Hotel absteigen. Aber er war auf der Flucht und konnte nicht einfach jedem zur Last fallen. Er brauchte jemanden, der ihm vertraute, einen Menschen mit starken Nerven, der hin und wieder gerne die Gesetze übertrat, um sich lebendig zu fühlen. So gesehen gab es nur einen Kandidaten. Zum ersten Mal seit Stunden bekam Knox bessere Laune. Er trat das Gaspedal durch und raste nach Norden.
KAPITEL 6
I
«Mais attends!» , rief Augustin Pascal, als irgendein Arschloch an seiner Tür hämmerte. «J’arrive! J’arrive!» Er kletterte über das nackte Mädchen, das mit dem Gesicht nach unten zwischen den Kissen lag. Mit diesem langen, welligen, goldglänzenden Haar sah sie aus wie Sophia. Er hob ihre Mähne, um sich zu vergewissern. Scheiße! Scheiße! Seit einer Woche hatte er sich darauf gefreut, sie zu vögeln, und jetzt war er zu betrunken, um sich daran zu erinnern.
Alt zu werden war schrecklich.
Das Hämmern an der Tür setzte erneut ein und hallte in seinem verkaterten Schädel. Er schaute auf den Wecker. Halb sechs! Halb sechs, verdammte Scheiße! Unglaublich! «Mais attends!» , rief er wieder. Auf seinem Nachttisch lagerte er Wasserflaschen und reinen Sauerstoff für den Notfall. Er inhalierte und trank abwechselnd, bis er meinte, aufstehen zu können, ohne umzukippen. Dann schlang er ein zerfranstes Handtuch um die Hüfte, zündete sich eine Zigarette an und ging zur Tür. Vor ihm stand Daniel Knox. «Was willst du denn, verdammte Scheiße?», fragte Augustin. «Weißt du, wie spät es ist?»
«Ich stecke in Schwierigkeiten», sagte Knox knapp. «Ich brauche Hilfe.»
II
Ibrahim war bestens gelaunt, als er durch Alexandria fuhr. Die Sonne war zwar gerade erst aufgegangen, aber er war einfach zu aufgeregt gewesen, um im Bett zu bleiben. In der Nacht hatte er einen Traum gehabt. Nein, das stimmte nicht ganz. Er hatte halb wach gelegen und auf das Weckersignal gewartet, als ihn plötzlich ein herrliches, intensives Wohlgefühl überwältigt hatte. Er wurde den Gedanken nicht los, dass ihm etwas Bedeutendes bevorstand.
Er hielt bei der Adresse, die Mohammed ihm gegeben hatte. Es war ein heruntergekommener, großer Wohnblock mit unebenen und ausgeblichenen Mauern, die kaputte Eingangstür hing schief in den Angeln, und aus der Gegensprechanlage baumelten lose Kabel. Mohammed wartete bereits im Treppenhaus. Als er Ibrahims Mercedes sah, leuchteten seine Augen. Stolz schlenderte er zum Wagen und drehte sich dabei um wie ein Schauspieler oder Sportler, der den Gang auf die Bühne auskostete. Jetzt sollten ihn die Freunde und Nachbarn sehen!
«Guten Morgen», begrüßte ihn Ibrahim.
«Wir reisen also mit Stil», sagte Mohammed, während er den Beifahrersitz so weit wie möglich zurückschob, um Platz für seine Beine zu haben. Trotzdem passten sie kaum in den Wagen.
«Ja.»
«Meine Frau ist sehr aufgeregt», sagte der hoch gewachsene Mann. «Sie ist davon überzeugt, dass wir Alexander gefunden haben.» Er warf Ibrahim einen verstohlenen Blick zu, um seine Reaktion abzuschätzen.
«Das bezweifle ich leider», sagte Ibrahim. «Alexander wurde in einem riesigen Mausoleum beigesetzt.»
«Und das, was wir gefunden haben, ist kein Teil davon?»
Ibrahim zuckte mit den Achseln. «Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem gab es ja nicht nur Alexander. Auch die Ptolemäer wurden in der Königsstadt bestattet.» Er lächelte Mohammed zu. «Sie wollten, dass Alexanders Ruhm auf sie abfärbt. Das klappte allerdings nicht so ganz. Als der römische Imperator Augustus zu Alexanders Grabmal pilgerte, fragten ihn die Priester, ob er auch die sterblichen Überreste der Ptolemäer sehen wollte. Wissen Sie, was er antwortete?»
«Was?»
«Dass er gekommen wäre, um einen König zu sehen, keine Kadaver.»
Mohammed lachte laut. Die Bewohner Alexandrias hatten es immer
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