Das Gottesgrab
klopfen, ohne seinen Besuch zwei Wochen vorher schriftlich anzumelden. «Ja?», fragte Gaille.
«Ich habe gerade einen Anruf erhalten», sagte Elena. Streitlustig betrachtete sie Gaille, als wäre sie in einer ungünstigen Lage, die Gaille ausnützen könnte. «Ibrahim Beyumi. Kennen Sie ihn? Er leitet die staatliche Antiquitätenbehörde in Alexandria. Offenbar hat er eine Nekropole gefunden. Er glaubt, dass ein Teil davon makedonisch ist, und will, dass ich sie mir mit ihm anschaue. Außerdem will er ein Team für eine mögliche Ausgrabung zusammenstellen und hat mich gefragt, ob ich ihn fachlich unterstützen kann. Ich musste ihn daran erinnern, dass ich mich um meine eigene Ausgrabung kümmern muss. Aber ich habe Sie erwähnt.»
Gaille runzelte die Stirn. «Braucht er Hilfe bei Übersetzungen?»
«Die Ausgrabung muss schnell über die Bühne gehen», entgegnete Elena. «Registrieren, abtragen, bearbeiten und lagern. Übersetzungen kommen später.»
«Und …?»
«Er braucht einen Fotografen, Gaille.»
«Ach so.» Gaille kam nicht mehr mit. «Aber ich bin keine Fotografin.»
«Sie haben eine Kamera, oder? Sie haben für uns Fotos gemacht, oder? Wollen Sie mir sagen, dass sie nicht gut sind?»
«Ich habe sie nur gemacht, weil Sie mich darum gebeten haben.»
«Also ist es jetzt mein Fehler, oder was?»
Gaille fragte vorsichtig: «Was ist mit Maria?»
«Und wer macht dann für uns Fotos? Wollen Sie behaupten, Sie wären eine ebenso gute Fotografin wie Maria?»
«Natürlich nicht.» Sie hatte ihre Kamera nur mitgenommen, um stark verblichene Ostraka zu fotografieren, denn hinterher konnte sie mit dem Bildbearbeitungsprogramm des Laptops die Schrift leserlicher machen. «Ich habe nur gesagt, dass ich keine …»
«Außerdem spricht Maria weder Arabisch noch Englisch», stellte Elena fest. «Ibrahim könnte nichts mit ihr anfangen, sie wäre ganz auf sich gestellt. Wollen Sie das?»
«Nein, ich sage ja nur …»
«Ich sage ja nur!», äffte Elena sie nach.
«Geht es um die Sache vorhin?», fragte Gaille. «Wie gesagt, ich habe dort unten nichts gesehen.»
Elena schüttelte den Kopf. «Das hat damit nichts zu tun. Es ist ganz einfach. Der Leiter der staatlichen Behörde in Alexandria hat um Ihre Hilfe gebeten. Soll ich ihm wirklich sagen, dass Sie seine Bitte ablehnen?»
«Nein», entgegnete Gaille resigniert. «Natürlich nicht.»
Elena nickte. «Gleich morgen früh werden wir uns einen Überblick verschaffen. Seien Sie um sieben Uhr fertig zur Abfahrt.» Sie schaute sich in Gailles unordentlichem Hotelzimmer um, schüttelte übertrieben ungläubig den Kopf und knallte beim Hinausgehen die Tür hinter sich zu.
II
Es tat Knox in der Seele weh, seinen Jeep auf dem Langzeitparkplatz stehen zu lassen. Seit er in Ägypten lebte, war er sein einziger ständiger Begleiter gewesen. Er hatte schon achthunderttausend Kilometer auf dem Tacho und zeigte noch keine Ermüdungserscheinungen. Wenn ein Wagen so gute Dienste tat, lernte man ihn schätzen. Er legte die Schlüssel und den Parkschein unter den Sitz. Mal sehen, vielleicht würde ja einer seiner Freunde in Kairo den Jeep haben wollen.
Der Flughafen war überfüllt. Es gab so viele Umbauarbeiten, dass alles auf die Hälfte des Raumes zusammengequetscht war. Knox zog seine Baseballkappe tief ins Gesicht, obwohl es unwahrscheinlich war, dass Hassans Leute schon hier waren. Er konnte zwischen mehreren Flügen wählen. Viele Maschinen kamen spät in der Nacht in Ägypten an und flogen gleich wieder zurück, um ihre Heimatflughäfen noch vor Tagesanbruch zu erreichen. Er ging an den Check-in-Schaltern vorbei. London? Vergiss es. Wenn man sein Leben versaut hatte, wollte man als Letztes durch den Erfolg alter Freunde daran erinnert werden. Athen kam auch nicht in Frage. Griechenland war für ihn Sperrgebiet, seit er nach der Familientragödie durchgedreht war. Stuttgart? Paris? Amsterdam? Allein der Gedanke an solche Orte deprimierte ihn. Dann fiel ihm eine dunkelhaarige Frau in der Schlange für den Flug nach Rom auf. Sie lächelte schüchtern. Warum nicht? Er ging an den Auskunftsschalter, um zu fragen, ob es noch Tickets gab. Der Mann vor ihm beschwerte sich, weil er einen Gepäckaufpreis für seinen Computer zahlen musste. Knox bekam schlechte Laune. ‹Kehren Sie in Ihre Heimat zurück›, hatte ihn der Offizier am Checkpoint gedrängt. Aber Ägypten war seine Heimat. Er lebte seit zehn Jahren hier. Er hatte das Land trotz der Hitze, des mangelnden
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