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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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den Resopal-Kartentisch. Ihn quälte der
Anblick des Durcheinanders der Seekarten. Sulawesi erinnerte ihn an
Cassies Zwerchfell. Pago-Pago hatte Ähnlichkeit mit ihren
Brüsten. Er hob den Blick vom Fußboden. An der Vorderwand:
das Mittelmeer. Rückwärtige Wand: Indischer Ozean.
Backbordseite: Südpazifik. Steuerbordwand: Nordatlantik. Er gab
ja so vieles auf, alle diese herrlichen Seegebiete und
Küstenstreifen, die meisten zwar durch die herrschende Spezies
längst verdreckt und verschandelt, aber im Innersten nach wie
vor schmerzlich schön. Niemand sollte behaupten, Anthony van
Horne wüßte nicht, auf was er verzichtete.
    Er bekam seine Migräne. Am Rande des Flimmerskotoms stieg ein
ölverschmutzter Silberreiher aus der Karte der Matagorda-Bucht
auf und schlug mit den verklebten Schwingen. Sekunden später
wand sich ein von texanischem Rohöl glänzender Grindwal aus
denselben verseuchten Gewässern, zappelte auf dem Boden, starb.
Wie das Ende wohl aussah? fragte sich Anthony. Ergoß sich das
Meer in den Kartenraum und ertränkte ihn? Oder war die Tür
ausreichend wasserdicht, so daß er das Hinabsinken auf den
Grund des Grönländischen Beckens überstand, um erst zu
sterben, wenn der Wasserdruck die Schiffsaufbauten zerstörten,
sie zerquetschte wie ein Ei unterm Stiefel?
    Ein lautes Klopfen. Noch viermal: Bang-bumm-bang-bumm. Anthony scherte sich nicht darum. Doch der Störenfried
zeigte sich halsstarrig.
    »Ja?«
    »Hier ist Thomas. Schließen Sie auf.«
    »Hauen Sie ab!«
    »Selbstmord ist eine Todsünde, Kapitän.«
    »In wessen Augen? Gottes Augen? Daraus ist vor vierzehn Tagen
Gallert geworden.«
    Wenigstens einer der Admirale, die bei Midway zu den Verlierern
zählten, entsann sich Anthony, hatte auch diese ehrenhafte
Konsequenz gezogen. Jetzt hätte er zu gern Einzelheiten
gewußt. Hatte der arme, unterlegene Japaner sich ans Steuerrad
gekettet? Es sich in letzter Minute anders überlegt, aber war
trotzdem untergegangen, weil niemand mehr zugegen gewesen war, um die
Ketten zu lösen?
    Nun erklang draußen eine andere Stimme. »Anthony, mach
die Tür auf. Es hat sich etwas Unglaubliches ergeben.«
    »Cassie, verschwinde! Du bist auf ’m sinkenden
Schiff.«
    »Ich habe mit dem Zweiten Offizier der Maracaibo gesprochen, und er sagt, der Schiffer heißt Christoph van
Horne.«
    Heißer denn je durchglühte die Migräne Anthonys
Schädel. »Fort mit dir!«
    »Christoph van Horne«, wiederholte Cassie den Namen.
»Dein Vater.«
    »Mein Vater lungert in Spanien rum.«
    »Dein Vater ist keinen Kilometer entfernt. Schließ die
Tür auf.«
    Tief in Anthonys Brust entstand ein dunkles Lachen. Er hier? Sein
teurer, alter Vater? Ja natürlich, wen sonst hätte
der Vatikan auswählen sollen, um die Valparaíso zu
verfolgen und ihr die Fracht zu entreißen. Er überlegte,
wie man ihn wohl aus dem Ruhestand gelockt hatte.
Höchstwahrscheinlich mit Geld. (Kolumbus war auch ein
Gierschlund gewesen.) Oder hatte den Alten die Aussicht, seinen Sohn
abermals demütigen zu können, zum Einwilligen
verführt?
    »Er möchte dich sprechen, sagt Katsakos.« Cassies
Stimme klang, als wäre sie den Tränen nah.
    »Er will mir die Fracht abjagen.«
    »Um irgendwem irgend etwas abzujagen, ist er gar nicht in der
Verfassung«, widersprach Ockham. »Als die Maracaibo von der Bombe getroffen wurde, befand er sich auf Deck.«
    »Er ist verletzt.«
    »Den Angaben zufolge ziemlich schwer.«
    »Erwartet er, daß ich zu ihm komme?«
    »Er nimmt an, daß Sie mit dem Schiff untergehen«,
antwortete der Geistliche. »Bei den van Hornes sei es
üblich, mit dem Schiff unterzugehen, hat er Katsakos
erzählt.«
    »Dann darf ich ihn nicht enttäuschen.«
    »Anscheinend kennt er Sie recht gut.«
    »Er kennt mich überhaupt kein bißchen. Kehren Sie
mit Cassie auf die Maracaibo zurück.«
    »Er hat versucht«, rief Cassie, »die Valparaíso zu retten.«
    »Das kann ich nicht glauben«, sagte Anthony.
    »Nun mach schon die Tür auf. Was meinst du denn, weshalb
er die Schleppketten zerschossen hat?«
    »Um mir die Fracht abzunehmen.«
    »Nein, um den Torpedierung zu stoppen. Was glaubst du, warum
die Flugzeuge von ihm beschossen worden sind?«
    »Damit sie die Fracht nicht versenken.«
    »Um zu verhindern, daß sie dich versenken. Frag
Kastsakos. Schließ endlich auf!«
    Anthonys Blick hastete auf der Steuerbordwand. Er malte sich aus,
wie Gott den Urkontinent zurechtgeknetet, Südamerika von Afrika
getrennt hatte; er stellte sich vor, wie das neue

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