Das Gottesmahl
beteuerte Follingsbee, wich
schrittweise ins geschäftige Gewühl zurück.
»Vielleicht nicht jeden Tag. Aber sonntags
bestimmt.« Sein Blick fiel auf eine Karmeliterin, die ein Rad
Cheddarkäse übers Deck dahinholpern ließ wie ein Kind
einen Reifen. »Heda, Schwester, rollen Sie das Ding nicht,
verdammt noch mal, tragen Sie’s!«
Der Gabelstapler hielt, und hinterm Lenkrad stieg eine rundliche,
etwa fünfzigjährige Nonne hervor, ein Strang
Räucherwürste baumelte ihr wie eine hawaiianischer
Blumenkranz um den Hals. Anthony empfand ihre Gangart als
auffällig lebhaft, sogar als Getänzel, falls man Nonnen
Getänzel nachsagen durfte: Offenbar bewegte sie sich im Takt der
nur ihr vorbehaltenen Musik, die ihr aus dem tragbaren, an ihre
Hüfte gehakten Sony-Walkman in die Ohren drang.
»Thomas!« Sie zerrte sich den Kopfhörer herunter.
»Thomas Ockham!«
»Miriam, meine Liebe! Wie herrlich! Ich wußte nicht,
daß man dich auch herangezogen hat.« Der Priester
schlang die Arme um die Nonne und schmatzte ihr einen langen,
feuchten Kuß auf die Wange. »Hast du meinen Brief
erhalten?«
»Ja gewiß, Thomas. Darin steht das Merkwürdigste,
was ich je gelesen habe. Trotzdem hatte ich irgendwie das
Gefühl, daß es von vorn bis hinten alles wahr
ist.«
»›Alles wahr‹«, wiederholte der Geistliche.
»Rom, Gabriel, die Dias, das EKG…«
»Eine schlimme Sache.«
»Schlimmeres kann man sich gar nicht vorstellen.«
»Deus absconditus«, sagte die Nonne.
»Glaubst du, es gibt noch Hoffnung?«
»Du kennst mich, ich bin ein ewiger Pessimist.«
Anthony strich sich mit der Hand den Bart. Ihn verwirrte der
Wortwechsel zwischen Ockham und Schwester Miriam. Er kam ihm weniger
wie das Gespräch eines Priesters und einer Nonne vor als wie die
Unterhaltung zwischen einer Schauspielerin und einem Schauspieler,
die sich zwanzig Jahre nach ihrer einvernehmlichen Scheidung, beide
längst passe, vor Hollywood-Kulissen wiederbegegneten.
»Miriam, das ist Anthony van Horne, der hervorragendste
lebende Seemann der Welt«, stellte der Geistliche Anthony der
Nonne vor. »Wenigstens hatten die Engel von ihm eine so
vorteilhafte Meinung.« Er wandte sich an den Kapitän.
»Miriam und ich kennen uns schon lange.
Neunzehnhunderteinundsiebzig haben wir Henry Kissinger mit
Schweineblut beschmissen. Und bei den Jesuiten liest man heute noch
eine Monografie, die wir anfangs der siebziger Jahre zusammen
geschrieben haben, die Einführung in die
Theodie.«
»Ich glaube, davon habe ich in der Zeitung gelesen«,
sagte Anthony, obwohl er während eines Großteils dieses
deprimierenden Zeitabschnitts als Dritter Offizier an Bord der Arco Bangkok gewesen war, die Napalm in den Golf von Thailand
verfrachtete, und keinerlei Kenntnis über die heimatlichen
Aspekte des Kriegs gehabt hatte. »Was ist Theodie?«
»Das ist ganz schwierig zu erklären.«
»Es klingt fast wie Idiotie.«
»In weiten Teilen ist es das gleiche.«
»Theodie bedeutet die Aussöhnung zwischen Gottes Gutsein
und dem Bösen der Welt.« Schwester Miriam riß eine
Räucherwurst ab und biß hinein. »Mein
Abendessen«, erklärte sie, kaute bedächtig.
»Kapitän, ich möchte mitfahren.«
»Wohin mitfahren?«
»Auf der bevorstehenden Reise.«
»Das ist keine gute Idee.«
»Ich halte es für eine glänzende Idee«,
widersprach der Priester, zeigte auf die Würste. »Darf ich?
Ich habe den ganzen Tag lang noch nichts gegessen.«
»Ein Passagier genügt«, meinte Anthony.
Miriam riß eine zweite Wurst ab und reichte sie Ockham.
»Ich will es einmal so ausdrücken.« Der Geistliche
stieß Anthony mit dem Klemmbrett an. »Ich möchte mich
keinesfalls aufspielen, aber es wäre kaum Mühe
erforderlich, um Rom zu veranlassen, daß man sich nach einem
anderen Kapitän umschaut«, erläuterte er, während
er die Wurst verzehrte. »Der Heilige Vater war nie völlig
von Ihnen angetan.«
Die ersten, beharrlichen Ansätze einer Migräne krochen
durch Anthonys Hirn. »Na gut, Pater. Einverstanden.« Er
rieb sich die Schläfen. »Aber die Arbeit wird ihr nicht
gefallen. Nichts als Rostentfernung und Anstreichen.«
»Klingt grauenvoll«, gestand die Nonne. »Trotzdem,
ich bin einverstanden.«
»Sehen wir uns morgen im Gottesdienst?« fragte Ockham,
und gab Miriam die Hand. »In der Sankt-Patrick-Kirche. Schlag
sechs Uhr, wie’s in der Handelsmarine heißt.«
»Aber klar.«
Die Nonne setzte wieder den Kopfhörer auf und schwang sich
zurück auf den Gabelstapler.
»Na gut, die
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