Das Gottesmahl
der
Kryonik zu versuchen. Wissen Sie, wovon ich spreche?«
»Wir sollen Gott auf Eis legen, ehe sein Gehirn
stirbt.«
»Genau. Ich persönlich bin allerdings der Ansicht,
daß der Papst viel zu optimistisch denkt.«
Ein unheimlicher, aber vollauf nachvollziehbarer Eifer befiel den
Kapitän, die unausweichliche Versessenheit eines Menschen, dem
sich die Chance bietet, das Universum zu retten. »Aber falls er nicht zu optimistisch ist«, sagte van Horne mit leicht
zittriger Stimme, »wieviel Zeit…?«
»Nach den Berechnungen des Vatikan-Zentralcomputers OMNIPATER
müssen wir den nördlichen Polarkreis vor dem achtzehnten
August überqueren.«
Van Horne leerte seine Flasche Old Milwaukee.
»Dunnerlüttchen, ich wünschte, wir hätten die Valparaíso schon verfügbar. Dann würde ich
mit der Morgenflut auslaufen, mit oder ohne Besatzung.«
»Ihr Schiff ist gestern abend im New Yorker Hafen
eingetroffen.«
Der Kapitän knallte die Bierflasche auf die Kabeltrommel.
»Sie ist da? Warum haben Sie mir das nicht gleich
erzählt?«
»Keine Ahnung. Verzeihen Sie.« Thomas sammelte die Fotos
ein und steckte sie zurück in die Bibel. In Wahrheit wußte
er den Grund zweifelsfrei. Es ging um Macht und Lenkung, um das
Erfordernis, diesen seltsamen, vom vergossenen Öl verfolgten
Mann davon zu überzeugen, daß nicht er, Anthony van Horne,
das Sagen hatte, sondern die Heilige Mutter Kirche. »Pier
achtundachtzig.«
Mit hastigen Bewegungen schob sich der Kapitän eine
Spiegelbrille auf die Nase und eine
Einheitsgrößen- Exxon- Schirmmütze auf den Kopf.
»Entschuldigen Sie, Pater. Ich muß mir mein Schiff
anschauen.«
»Es ist schon reichlich spät.«
»Sie brauchen nicht mitzukommen.«
»Doch, ich muß.«
»Wieso?«
»Weil die Karpag Valparaíso gegenwärtig
der Zuständigkeit des Vatikans untersteht« – der
Priester nahm die Bifokalbrille ab, rieb sich die Nase und schnitt
eine strenge Miene – »und niemand, nicht einmal Sie, ohne
meine Erlaubnis an Bord gehen darf.«
Im Verlaufe seines Lebens und seiner Seereisen hatte Anthony van
Horne das Tadsch Mahal gesehen, das Parthenon, den Engel Rafael und
seine Ex-Verlobte Janet Yost splitternackt, aber kein Anblick war
für ihn je so schön wie der Blick auf die SS Karpag
Valparaíso gewesen, die leicht und leer vor Pier 88 auf
dem vom Mond beschienenen Wasser dümpelte. Bis zu genau diesem
zauberhaften Moment hatte er nicht so recht glauben können,
daß sein Auftrag Realität war; doch wirklich, da lag die Valparaíso, die launische alte Dame, dominierte das New
Yorker Hafenbecken mit all der krassen Disproportionalität eines
in eine Badewanne gezwängten Ruderboots.
Bei gewissen, jedoch seltenen Anlässen war Anthony zumute,
als könnte er die Feindschaft verstehen, mit der manche Menschen
Supertankern begegneten. Die Umrisse eines solchen Schiffs hatten
keinen Sprung – keine Deckerhöhung –, keine
sanftschwellende Verbreiterung des Rumpfs. Es fehlte ein Steven und
ebenso ein überhängendes Heck, die sachten Winkel der
Masten und Schornsteine, mit denen herkömmliche Frachter eine
Hommage ans Zeitalter der Segelschiffe zum Ausdruck brachten. Mit
seiner gewaltigen Tonnage und beträchtlichen Rumpfbreite schwamm
ein Supertanker nicht auf den Wellen, er walzte sie nieder. Sie waren
grobklotzige, gewaltige, ja monströse Schiffe – aber eben
dadurch gaben sie in Anthonys Sicht etwas ganz besonderes ab: dank
ihrer furchteinflößenden Majestät, ihrer
bombastischen Großkotzigkeit, der Weise, wie sie rings um den
Planeten verkehrten, als wären sie Yachten, mit denen man
Luxus-Kreuzfahrten für Dinosaurier veranstaltete. Ein
Supertanker war ein Phänomen, ein Siebtes Weltwunder einer
industrialisierten Ära, eine dieselbetriebene Gottheit. Das Deck
eines Supertankers zu beschreiten, bedeutete eine Erhöhung, es
vergrößerte das Fleisch-und-Blut-Sein, gab das Empfinden
ein, eine große, trotzige Geste zu verrichten, als ob man einen
Präsidenten anpißte, eine eigene internationale
Terroristenorganisation unterhielt oder in der Garage eine
Wasserstoffbombe versteckte.
Anthony und Thomas setzten zur Valparaíso in einem
Motorboot namens Juan Fernández über, gesteuert
von einem Mitglied des Vatikan-Geheimdienstes, einem
ungeschlachten-bärigen Sergente mit unter die Achsel
geschnalltem 45er Colt. Die Aufbauten strahlten nur so von
Beleuchtung: Am heckwärtigen Ende des Wetterdecks war ein
Deckshaus errichtet worden, durch das der Tanker in diesem Bereich
wie
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