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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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angeworben
hast.« Diese Bemerkung kränkte Oliver, traf ihn so tief,
daß er beinahe das Thermometer zerbiß. (Du meine
Güte, was verlangte sie denn in so kurzer Zeit, daß er die
7. US-Flotte auf den Tanker hetzte?) Er hörte in den Ohren ein
leises Klingeln, als ginge in einem Mäuseloch ein Wecker los.
Cassie zog ihm das Thermometer aus dem Mund und las die Messung ab.
»Dreiunddreißig Komma zwei Grad. Ziemlich gut. Du kannst
jetzt aufstehen.«
    »Ich habe alles versucht. Ehrlich.«
    »Du brauchst’s nicht ständig zu
wiederholen.«
    »Wo ist Gott?«
    »Fortgetrieben«, teilte Cassie ihm mit, legte Oliver
einen weißen Frottee-Bademantel und ein mit dem
Karpag-Stegosaurus verziertes Badetuch zurecht. »Nach Osten,
glaube ich. Höchstwahrscheinlich ist er unsinkbar. Wir
müssen uns aussprechen, Oliver. Wir treffen uns im
Imbißrestaurant.«
    »Ich liebe dich, Cassandra.«
    »Ich weiß«, sagte sie mit ruhiger Stimme – in
unheilvollem Ton –, wandte sich ab und verschwand im Wallen der
Dampfwolken.
    Während Oliver aus der Retemperierungswanne stieg, befielen
ihn Benommenheit und ein Gefühl unsäglicher Trauer. Ihm war
zumute wie einem Gestrandeten, der im Zeitalter der Vernunft
festsaß, während auf dem Meer, fast schon am Horizont,
Cassandra in eine Zukunft der Nachaufklärung und des
Posttheismus fuhr, sich mit jedem Moment, der verstrich, immer weiter
von ihm entfernte.
    Er trocknete sich ab, schlang den Bademantel um und humpelte durch
die Reihen ausgelaugter Militärdrama-Aktivisten, von denen die
Hälfte in Retemperierungswannen, die andere Hälfte im Bett
lag. Über McCluskys linke Wange verliefen die Stiche einer
unregelmäßigen Wundnaht. Ein wahrer Turban aus
Verbandszeug krönte Leutnant Beesons Kopf. Verbrennungen
bedeckten Lance Sharps Brustkasten wie abstrakt-expressionistische
Tätowierungen. Oliver bedauerte die Männer wegen ihrer
gebrochenen Knochen und Fleischwunden, gleichzeitig jedoch
fühlte er sich von ihnen hintergangen. Sie hätten viel
größere Löcher in Gottes Leichnam bomben sollen. Das
wäre ihre gottverdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen.
    Erst angesichts des jämmerlichen Anblicks Albert Flumes
begriff Oliver so deutlich wie noch nie, was es für einen
Menschen bedeutete, die Arme zu verlieren. Mit verlorenen Beinen
verhielt es sich anders. Kapitän Ahab, Long John Silver –
da gab es eine ganze Galerie romantischer Helden. Aber ein Mann ohne
Arme sah einfach blöd aus.
    An Flumes Bett stand Pembroke, dem ein Stoffverband auf dem
rechten Auge klebte; sein Gesicht hatte etliche Prellungen erlitten.
»Das ist alles Ihre Schuld«, warf er Oliver vor,
zeigte auf seinen verstümmelten Geschäftspartner.
    Die Arroganz des Militärdrama-Veranstalters frappierte
Oliver. »Meine Schuld?!«
    Beim Klang seiner Stimme zuckte Flume zusammen und stierte hinauf
zur Decke. Dicke Lagen von Leinenverbänden umhüllten die
Armstümpfe, verliehen den stark verkürzten Gliedern das
Aussehen von mit Klebestreifen umwickelten Baseball-Handschuhen.
    »Sie haben uns eingeredet«, beschwerte sich Pembroke,
»es sei kein Geleitschutz vorhanden.«
    »Suchen Sie einen Sündenbock, Pembroke?« fragte
Oliver, bezähmte den Drang, den Mann anzuschreien. »Dann
nehmen Sie Ihren Kumpel Spruance. Spruance mit seinem Reserveplan
Neunundzwanzig-siebenundsechzig. Oder den Deppen McClusky da, er
hätte sofort zum Rückzug blasen müssen, als die Maracaibo aufkreuzte. Oder ziehen Sie sich selbst in
Betracht.«
    »Maracaibo, nicht ›die‹ Maracaibo.«
    »Die Leute hier an Bord tuscheln über Schadenersatz- und
Mordanklagen, über Auslieferungsersuchen«, schnauzte
Oliver. »Ich glaube, wir stecken tief in der Scheiße. Wir alle.«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich. Es hat nach der
Schlacht von Midway keine Klagen gegeben.« Pembroke
zückte einen Plastikkamm aus dem Bademantel und glättete
seinem Freund das dichte, blonde Haar. »Herrje, wär’s
mir doch nur möglich, dir irgendwie zu helfen, Albert. Ich
wollte, ich könnte dafür sorgen, daß jetzt Frances
Langford reinkommt und dich etwas aufmuntert.«
    »Was soll bloß aus mir werden?« röchelte Flume.
    »Also, du erhältst in jeder Hinsicht
ausschließlich die beste ärztliche Behandlung, alter
Junge. Du bekommst wunderbare Armprothesen, genau solche, wie Harold
Russell welche hatte.«
    »Harold Russell?« fragte Oliver.
    »Der zweifach Armamputierte, der zum Film ging«, lautete
Pembrokes Auskunft. »Haben Sie Die besten Jahre unseres
Lebens

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