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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Bordküche ist bestens gefüllt«,
stellte Anthony fest, während er und Ockham sich dem Lift
näherten. »Aber wie verhält’s sich mit dem Rest?
Was ist mit der Ausrüstung gegen Raubtiere?«
    »Heute morgen sind sechs Kisten Dupont-Haiabschreckungsmittel
verladen worden«, erklärte Ockham, den Blick auf die
Kontrolliste geheftet. »Außerdem fünfzehn
T-Zwoundsechzig-Raketenstartgeräte und zwanzig
Toshiba-WP-Siebzehn- Sprengkopf-Harpunengewehre.«
    »Und die Ersatzturbine?«
    »Trifft morgen ein.«
    Beide fuhren sie im Lift zur gelegenen Brücke in der siebten
Etage. Dort wirkte alles unberührt, gänzlich
unverändert, als hätte ein Marinegeschichteverein die Valparaíso als Besichtigungsobjekt für Touristen
reserviert, als neuestes Ausstellungsstück im Museum maritimer
Umweltkatastrophen. Selbst das Bushnell-Fernglas stak an seinem
gewohnten Platz im Segeltuchbehälter neben dem
Zwölfmeilenradar.
    »Schottenversteifungsspanten?« fragte der
Kapitän.
    »Im Vorschiffladeraum gebunkert«, antwortete Ockham.
    »Reserveschiffsschraube?«
    »Schauen Sie hinunter, sie liegt auf Deck verzurrt.«
    »Die Scheiße, die Sie eben mit dieser Drohung gegen
mich abgezogen haben, hat mir gar nicht gepaßt.«
    »Mir auch nicht, Anthony. Lassen Sie uns versuchen, Freunde
zu sein, ja?«
    Der Kapitän verzichtete auf eine Entgegnung, ergriff statt
dessen das Steuerrad, umklammerte mit den Handflächen den kalten
Stahl. Er lächelte. In seiner Vergangenheit lagen ein
hundsgemeiner Vater, eine tote Mutter, eine gelöste Verlobung
und vierzig Millionen Liter ausgelaufenen Öls. Seine Zukunft
verhieß kaum mehr als Alter, chronische Migräne,
zweckloses Duschen und eine von Verrücktheiten geprägte
Seereise. Doch in diesem kurzen Moment, als er auf der Brücke
seines umgebauten Supertankers stand und an die
Reserveschiffsschraube dachte, fühlte Anthony van Horne sich
glücklich.
     
    Im erhitzten, kochendschwülen Ortszentrum von Jersey City
schulterte eine sechsundzwanzigjährige Waise mit Namen Neil
Weisinger seinen Seesack, quälte sich damit über sechs
Treppenfluchten ins Dachgeschoß des Nimrod Buildings hinauf und
betrat das New Yorker Heuerbüro. Oben saßen im staubigen
Wartesaal schon über drei Dutzend Voll- und Leichtmatrosen,
hockten nervös, die Habseligkeiten zwischen den
Füßen, auf Klappstühlen, jeder erhoffte sich die
Anheuerung auf dem einzigen Schiff, das in diesem Monat sollte, der
SS Argo Lykes. Neil stöhnte. Soviel Konkurrenz…
Sofort nach Beendigung der letzten Reise (einem Massengut-Transport
mit der Stella Lykes durch den Panamakanal zur
neuseeländischen Hafenstadt Auckland und zurück) hatte er
erledigt, was alle Vollmatrosen nach dem Abheuern taten, er hatte
unverzüglich die nächste Geschäftsstelle des
Bundesseefahrtsamts aufgesucht, um Daten und Dauer der Fahrt korrekt
in sein mit einem Paßfoto versehenen Seefahrtbuch stempeln
lassen. Neun Monate und vierzehn Tage später sicherte es ihm
gehörigen Vorrang, aber eine Erfolgsgarantie bot es nicht.
    Neil klappte seine Brieftasche auf, zog das Seefahrtbuch heraus
– das Foto gefiel ihm sehr, vor allem wegen der Weise, wie der
harsche Glanz der Lampe seine schwarzen Augen zum Funkeln gebracht
und seiner engelhaften Unschuldsmiene strenge Kantigkeit verliehen
hatte – und warf es in einen unter einem Poster mit dem Text
AMERIKANISCHE SCHIFFE ZUERST an die Wand geklebten Schuhkarton. Die
Zähne zusammengebissen sah er sich die Seefahrtbücher der
anderen Bewerber an. Schlechte Aussichten. Ein Rastafari war
vierundzwanzig Tage länger als Neil an Land. Ein Glaubensbruder
namens Daniel Rosenberg zehn. Eine Sino-Amerikanerin, An-mei Jong,
siebzehn Tage länger. Scheiße.
    Er nahm an einem offenen Fenster Platz, dessen Scheiben Jerseyer
Siff trübte. Selbstverständlich konnte man nie wissen, was
sich ergab. Ab und zu geschahen ja Wunder. Vielleicht lief ein
Außenseiter-Tanker aus dem Arabischen Meer ein. Eventuell
meldete der Hafenamtschef Bedarf an einem Ersatzmann für einen
Hafenjob oder für eine Kurzfahrt auf dem Hudson, die niemand
annehmen mochte, der nicht so pleite war wie Neil. Oder eine Crew
neptunischer Methanatmer, deren Steuermann an einer
Sauerstoffüberdosis krepiert war, landete auf dem Journal Square
und heuerte ihn vom Fleck weg an.
    »War’s bei dir jemals knapp?« Eine leicht belegte
Stimme voller Anspannung. Neil drehte sich um. Vor dem Fenster
kauerte ein Seemann auf der Feuertreppe, ein muskulöser,
sommersprossiger,

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