Das Gottesmahl
zufällig irgendwer über das Grab stolpert und aller
Welt davon erzählt?«
»Pater Thomas hat mit einem Engel gesprochen«,
entgegnete Lianne mit merklicher Abweisung. »Offenbar steht eine
kosmische Notwendigkeit hinter dieser Fahrt.«
»Hinter dem Feminismus steht auch eine kosmische
Notwendigkeit.«
»Wir sollten dem Kosmos lieber nicht ins Zeug pfuschen,
Liebchen. Da bin ich voll dagegen.«
Im Laufe des übrigen Tags ging Cassie der Funkerin
absichtlich aus dem Weg. Sie hatte ihr deutlich genug erläutert,
wie sich die Sache verhielt, auf die unheilvollen politischen Folgen
eines Corpus Dei klar hingewiesen. Jetzt mußte sie ihre
Argumente wirken lassen.
Diese Seefahrt unterschied sich erheblich von der vorherigen
Reise. Auf der Beagle II war sie regelmäßig von den
Füßen gestoßen und aus der Koje geworfen worden,
hatte sie unter Übelkeit gelitten: Dort hatte frau die hohe See
zu spüren bekommen. An Bord der Valparaíso hingegen fühlte man sich weniger wie auf einem Schiff als
wie auf einer großen, am Meeresboden verankerten Stahlinsel. Um
die Bewegung wahrzunehmen, mußte man in den vorderen Ausguck
steigen, einer Art stählerner Kanzel, die übers Wasser
hinausragte, und zuschauen, wie die Bugplatten sich durch die Wellen
stemmten.
Am Abend des 14. Juli stand Cassie wieder am Bug, trank Kaffee,
genoß den Sonnenuntergang – ein atemberaubendes
Naturschauspiel, für das der diensthabende Vollmatrose, Karl
Jaworski mit der faßartigen Statur, anscheinend keinerlei Sinn
aufbrachte – und stellte sich die androgynen Wunderwesen vor,
die sich vielleicht drei oder vier Kilometer tief unter ihren
Füßen tummelten. Hippocampus guttulatus zum
Beispiel, das Seepferdchen, dessen Männchen die Eier in
speziellen Bruttaschen behütete; und Barsche, die allesamt als
Weibchen ins Leben eingingen, deren Hälfte jedoch die Bestimmung
hatte, nach dem Auswachsen das Geschlecht zu wechseln; und der
entzückend subversive Seehase, ein Fisch, bei dem nur die
Väter einen Mutterinstinkt entfalteten (sie versorgten
während der Brutzeit den Laich mit Sauerstoff und bewachten
anschließend die Jungfischlein). An der rechten Seite breitete
sich hinterm Horizont das weite, schwüle Niger-Delta aus.
Linkerhand lag, gleichfalls hinter der Krümmung des Planeten
verborgen, die Insel Ascension. Nachgerade erstickende Hitze
herrschte, tauchte Cassie in ein äquatoriales Schweißbad,
so daß sie beschloß, das nicht uninteressante kleine
Bordkino der Valparaíso aufzusuchen. Zwar hatte sie Die Zehn Gebote schon einige Male gesehen – zuletzt auf
Olivers Jubiläums-Sammler-Laserdisc – und rechnete nicht
damit, daß die Dramaturgie dieses Pfaffenfetzens bei ihr einen
tieferen Eindruck hinterließ, doch im Moment war Klimatisierung
ihr wichtiger als Katharsis.
Mit dem Lift fuhr sie nach Deck 3 hinunter, öffnete die
Tür des Kinos und strebte in die wundervoll kühle Luft.
Es mochte bei jemandem wie ihr sonderbar sein, aber zufällig
hegte Cassie für Die Zehn Gebote ein eigentümliches
Faible. Ohne den Film hätte sie nie ihr bösestes Stück
geschrieben, Gott ohne Tränen (ein prophetischer Titel,
wie sie mittlerweile ersah), einen grimmig-bitter satirischen
Einakter über die vielfältigen Verfälschungen, die
Cecil B. DeMille und Konsorten am 2. bis 5. Buch Moses (Exodus,
Leviticus, Numeri und Deuteronomium) verbrochen hatten, als sie sie
fürs Kintopp ausschlachteten. Besonders streng war sie dabei mit
DeMilles Weigerung ins Gericht gegangen, das moralisch
Abstoßende der gegen Ägypten gerichteten zehn Plagen zu
berücksichtigen, seiner Ablehnung, die Ungerechtigkeiten
aufzuzeigen, die den Israeliten, während sie durch die
Wüste wanderten, ihr Gönnergott zumutete (der alle
niederschmetterte, denen Kanaan nicht gefiel, diejenigen mit Feuer
vom Himmel verbrannte, die bei Chorma Beschwerden zu
äußern wagten, jenen mit Schlangen auf die Pelle
rückte, die hinterm Berg Hor murrten, und die mit einer Seuche
bestrafte, die ihm den Baal Peor vorzogen), und erst recht mit der
skandalösen Auslassung der Mordrede, die Moses nach der
Unterwerfung der Midianiter seinen Heerführern hielt: »Wie?
Ihr habt alle Weiber am Leben gelassen? Gerade sie sind es ja, die
die Israeliten auf Beliams Rat zum Abfall vom Herrn um Peors willen
verführt haben, so daß die Heimsuchung über die
Gemeinde des Herrn kam. So tötet nun von den Kindern alle Knaben
und von den Frauen jene, die schon mit einem Manne verkehrt haben!
Aber alle
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