Das Gottesmahl
Torpedoflugzeuge«, sagte Oliver.
»Auf alle Fälle eine schwierige Entscheidung. Sollen wir
sie dem Admiral überlassen, Sidney?«
»Gute Idee.«
Flume drückte die Zigarette im Jumbo-Aschenbecher aus.
»Selbstverständlich muß der Luftangriff quasi aus dem
Dunkeln erfolgen. Wenn Enterprise sich rund zweihundert
Kilometer westlich des Ziels hält, merken die Japsen
höchstwahrscheinlich nicht, woher die Flugzeuge gekommen
sind.«
»Daß Japan auf Albert und mich sauer wird, ist
nämlich das letzte, was wir uns wünschen«, stellte
Pembroke klar. »Wir brauchen für die
Guadalcanal-Reinszenierung die volle Mitwirkung der Japsen.«
»Schauen Sie am Donnerstag bei Shields, McLaughlin, Babcock
und Kaminsky vorbei, dann überreichen sie Ihnen einen
Vertragsrohentwurf für Ihre Anwälte«, sagte Flume.
»Voraussichtlich dauert die Ausarbeitung aller Einzelheiten zwei
Wochen – Zahlungsplan, Leistungsrahmenvereinbarung und
Bürgschaften, Verantwortlichkeitsklauseln…«
»Sie meinen«, fragte Oliver eifrig, »wir sind uns
einig?«
»Siebzehn Millionen?« meinte Flume und hob die Flasche
Ruppert.
»Siebzehn Millionen«, verhieß Oliver, schwang die
Flasche Rheingold empor.
Die beiden Bierflaschenantiquitäten stießen aneinander,
klirrten in der schwülen Luft Manhattans.
»Wissen Sie, was wir nun machen sollten?« sagte
Pembroke. »Ich habe das Gefühl, wir müßten auf
die Knie sinken und beten.«
Eine seidenweiche Brise wehte um den Bug der Valparaíso, während Cassie die Leiter hinabstieg und sich, so wie Julia
ihren Balkon betrat, zu Vollmatrose Ralph Mungo im vorderen Ausguck
gesellte. Die kühle Luft umschmeichelte ihre Haut.
Allmählich verdunstete der Schweiß auf Cassies Gesicht.
Gegen Morgen sollten sie – Gott sei Dank – den 33.
Breitengrad überqueren, und von da an lag die grausige
nordafrikanische Sommerhitze endlich hinter ihnen.
Mungo schmauchte eine Marlboro und blickte aufs Meer hinaus.
Wächsern schwebte der Mond tief am Horizont, stand starr am
sternenübersäten Himmel wie eine erleuchtete
Melonenscheibe. Cassie stellte die mit Kaffee gefüllte
Klappdeckel-Thermoskanne ans Schanzkleid, langte in die Tasche ihrer
Shorts und holte das verschlüsselte Fax heraus, das Lianne Bliss
am Nachmittag in der Funkstube für sie empfangen hatte.
Olivers Liebesbriefe mit ihren rührseligen Gedichtchen und
pornografischen Bildlein hatten Cassie eigentlich nie richtig
angesprochen, doch diese Faxnachricht wühlte sie zutiefst auf.
Beim Entschlüsseln durchlebte sie eine Art
authentisch-historischen Augenblicks, eine Variante des
ehrfürchtigen Staunens, das Darwin, Galilei und eine Handvoll
anderer Menschen empfunden haben mußten, als sie erkannten,
daß sie den Lauf der Geistesgeschichte nachhaltig
veränderten. Gewiß, die konkreten Angaben stufte sie als
weniger erbaulich ein; trotz ihrer Liebe zum Theater behagte es ihr
nicht, das intellektuelle Schicksal der Menschheit in die Hände
eines Unternehmens zu legen, das sich Pembroke & Flumes
Zweiter-Weltkrieg- Militärdrama-Gruppe nannte. (Diese
Bezeichnung klang nicht nach Rettern des säkularen Humanismus;
sie hörte sich nach Irren an.) Was Cassie jedoch so tief
bewegte, war Olivers Klugheit; die Tatsache, daß er den
Leichnam ganz logisch als Bedrohung einschätzte und
unverzüglich Maßnahmen veranlaßt hatte. Sein
Beharren auf Geheimhaltung betrachtete sie als besonders
scharfsinnig. Intuitiv hatte er erkannt, daß der Vatikan, falls
er von einem bevorstehenden Angriff Wind bekam, entweder den
Transport umleitete oder ihn unter so starken Schutz stellte,
daß die Militärdrama-Gruppe dagegen nicht anstinken
konnte. »Dieses Fax bleibt meine einzige Mitteilung«, hatte
er am Schluß geschrieben.
Luftangriff erfolgt bei 68°11’N,
2°35’W, 200 km östl. v. Startplatz
Jan-Mayen-Insel. Im Rahmen einer Midway-Reinszenierung
zertrennen Flieger die Schleppketten, bombardieren das Ziel und
schicken das bewußte Ärgernis auf den Grund des
Grönländischen Beckens…
Über die Reling gelehnt unterzog Cassie das Fax dem gleichen
Vernichtungsverfahren wie der bösartig negativen Besprechung,
die die Village Voice zu ihrem Theaterstück über
Jephtah gedruckt hatte, den ›Helden‹ im Buch der Richter,
der die eigene Tochter umbrachte, um ein Gott gegebenes Gelübde
einzuhalten. »Echte Satire verhält sich zu infantiler
Häme wie ein Kanonenschlag zu einer Knallerbse, ein Unterschied,
den die junge Autorin namens Cassie Fowler offenbar
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