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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Ketzerei«, stellte der Priester fest,
während er die Jeans abstreifte. »Nein, schlimmer als
Ketzerei, er erniedrigt uns. Er reduziert uns auf
unterdrückte Geister, die in bösem Fleisch
gefangensitzen.«
    Aus den Lautsprechern des Wrangler-Jeeps dröhnte wildes
Trommeln.
    »Der Tanz der Sieben Schleier«, erklärte Miriam
nervös, schwenkte die Hüften. Wendy und Wanda gerieten ins
Schaukeln, schwangen in geradezu hypnotischen Halbkreisen von einer
zur anderen Seite. »Als nächstes sind die Trompeten und
Posaunen dran, danach wird daraus ein Walzer. Hast du je schon nackt
in Gottes Nabel Walzer getanzt, Tom?«
    Der Priester zog Hemd und Hosen aus. »Noch nie.«
    Trompeten schmetterten, Posaunen gellten, eine einzelne Tuba
hallte. Zuerst schaute Thomas, der nichts mehr als die Bifokal-Brille
anhatte, nur zu. Er malte sich aus, Herodes Antipas zu sein, Zeuge
des beispiellos sinnlichen Tanzes, den er sich in einer Anwandlung
der Pädophilie von seiner Stieftochter im heiratsfähigen
Alter Salome erbeten hatte, ohne zu ahnen, daß der Preis aus
dem Haupt Johannes’ des Täufers bestehen sollte. Und
Miriams Bewegungen liefen tatsächlich sinnlich ab –
keineswegs lüstern, nicht lasziv, sondern wirklich sinnlich,
vergleichbar mit dem Hohelied Salomos oder Batsebas Waschung; oder
mit der Weise, wie Magdalena dem Herrn die Füße wusch.
    Schließlich ergriff er die Hand seiner alten Freundin und
umschlang mit dem anderen Arm ihre zarte, dralle Taille. Gemeinsam
tanzten sie im Kreis, anfangs unbeholfen, wahrscheinlich sogar
komisch anzusehen, doch bald bemächtigte sich ein verborgenes
Engramm Thomas’ Motorik, ein latentes Gespür für
Rhythmus und Form, und er führte Miriam auf dem
gummiähnlichen Untergrund mit kühnen, schwungvollen
Schritten. Überall ringsum waberte der befremdliche Nebel,
dichte Dunstschleier umschmiegten ihre sich im Tanz drehenden Leiber
mit behaglicher Wärme. Etwas regte sich in Thomas’
eingemotteten Lenden. Aber er bekam keine Erektion. Ihn befiel keine
Lust. Darüber war er froh. Dieser Tanz hatte eine tiefere
Bedeutung als die Kraft der Hoden, größere Tragweite als
Lüsternheit, ging zurück auf eine vorzeitlich-uralte, mit
den Schwämmen und Amöben geteilte präsexuelle
Existenz.
    »Niemand sieht uns«, bemerkte Miriam.
    Ihre Körper preßten sich fest aneinander, glichen zwei
zum Gebet geschlossenen Händen. »Wir sind allein«,
bekräftigte Thomas. Wie wahr, wie jämmerlich wahr: Sie
lebten als Waisen im Jahre Anno Postdomini Eins, jenseits von Gut und
Böse. Es verhielt sich, als ob sie am eigenen Leib einen
boshaften Scherz erlebten. Was bügelt der Priester über
die Tonne? Die Nonne. Er fühlte sich besudelt, verdorben,
verdammt und zur gleichen Zeit ekstatisch.
    Ein Zittern massierte ihnen die nackten Füße.
    »Das Jüngste Gericht ist aufgelöst«, rief
Miriam.
    Ein zweites Zittern, doppelt so stark wie das erste.
    »Die Armesünderbank ist von Holzwürmern gefressen
worden«, jubelte Thomas.
    Nun erschütterte ein furchtbares Beben den Nabel.
    Sie fuhren auseinander, breiteten im Ringen ums Gleichgewicht die
Arme aus. Verwirrung durchschoß Thomas. Auferstehung? War ihr
Tanz dermaßen sündig gewesen, daß er Gott aus dem
Koma weckte?
    »Was ist denn jetzt los?« keuchte Miriam.
    Ein Taifun? Eine Flutwelle? »Keine Ahnung. Aber mein Eindruck
ist, wir halten uns im Moment am falschen Ort auf.«
    Hastig zogen sie sich an, allerdings nur unvollständig.
Flüchtig verharrte Thomas, um bei Schwester Miriam eine noch nie
gesehene Handlung zu beobachten, die sonderbare, yogaähnliche
Haltung zu betrachten, in der Frauen den BH anlegten. Das Fleisch
unter ihren Füßen wabbelte wie Schweinssülze.
Detonationen durchdrangen die Luft. Gischt sprühte in die
Höhlung herab. Es hatte den Anschein, als wäre der gesamte Corpus Dei ins Schlottern geraten, von einem posthumen
epileptischen Anfall gepackt worden.
    Schuhe und Socken in den Händen, rannten sie zum Wrangler,
stiegen ein und rasten, nachdem sie Salome abgeschaltet
hatten, die Serpentinen empor.
    »Irgendein Mahlstrom?« fragte Miriam.
    »Möglicherweise.«
    »Oder eine Wasserhose?«
    »Kann sein.«
    Thomas gab Vollgas, lenkte den Wrangler ungeachtet der
Sichtbehinderung durch den Nebel über die Bauchwölbung und
das Zwerchfell ostwärts. Das Fahrzeug schleuderte, als er
bremste. Die Juan Fernández, das Motorboot, lag noch,
dem Himmel sei Dank, an der Gummilandungsbrücke festgemacht, die
Rafferty kurz vor Beginn der

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