Das Gottesmahl
Fax-Übertragungen.
Es muß sein, Popeye. Ich gebe Befehl, auf 10 rpm
runterzuschalten. Trotz großzügiger Anwendung
Göttlichen Wunderschmands leide ich momentan unter dem
grauenhaftesten Migräneanfall meines Lebens. Es scheint, als ob
mein Gehirn Zelle um Zelle abstirbt, zeitgleich mit seinem Hirn kaputtgehen soll.
Wieder erklang Musik von Strauß, diesmal Salome, hundert Opernstimmen erfüllten das Innere des
Wrangler-Jeeps, während Thomas ihn in die morastige Vertiefung
des Nabels steuerte. Diese Strecke war gefährlich, führte
über immer schmalere, von Nebel umwallte Serpentinen
abwärts, doch der Wrangler hielt die Spur, beförderte den
Jesuiten und die Karmeliterin durchs omphalogische Terrain wie ein
Reitesel Touristen durch den Grand Canon.
Diese Fahrt, müßte er auf Befragen gestehen, war ein
Akt der Verzweiflung, ein allerletzter Versuch, diesen
fragwürdigen Riesenleichnam zu diskreditieren, denn nur durch
eine Entmythologisierung des Leichnams als solchem konnte man hoffen,
seine geistigen Auswirkungen zu neutralisieren und so –
vielleicht – der Gewaltseuche Einhalt zu gebieten, die an Bord
der Valparaíso wütete. Auf den ersten Blick
allerdings vermittelte der Nabel des Schleppguts keinen
größeren teleologischen Sinn als die Brustwarzen (»Es
werde mir ein Bauchnabel«); dennoch hatte besonders diese
körperliche Eigenschaft dank ihres eindeutigen Hinweischarakters
auf eine vorherige Generation Thomas zu für ihn untypischem
Optimismus bewogen. Sprach ein Nabel nicht für einen
Schöpfer des Schöpfers? Legte er nicht einen Gott vor Gott
nahe?
Innerhalb weniger Minuten erreichten sie die Sohle, einen halben
Morgen mit Korallengewächsen bewucherten und mit Algenschwaden
garnierten Fleischs. Hier und da sah man eine tote Krabbe. Thomas
drehte den Zündschlüssel, schaltete den Motor und
gleichzeitig Salome ab. Er atmete tief ein. Der Nebel
füllte seine Lungen wie Dunst, der von einem Sumpf des
Mesozoikums emporwallte. Mit einer Gebärde, die den Geistlichen
unwillkürlich perplex machte, beugte sich Schwester Miriam vor
und drehte den Zündschlüssel aggressiv in Gegenrichtung, so
daß Salome von neuem erscholl.
Thomas öffnete den Sicherheitsgurt, stieg aus dem Wagen und
watete durch den flachen, salzigen Tümpel. Er kniete sich hin
und betastete mit den Händen die Oberhaut, suchte nach
irgendeinem Anzeichen dafür, daß an dieser Stelle einmal,
einem Mammutbaum ähnlich, eine Nabelschnur gewesen war –
dem Beweis für einen Proto-Gott, einen Prä-Schöpfer,
dem Hinweis auf eine unausdenkliche Nachgeburt, die irgendwo in der
Milchstraße wie eine interstellarer Staubwolke schwebte.
Nichts. Null. Nicht die kleinste Unregelmäßigkeit.
Genau das hatte er befürchtet. Aber so leicht gab er nicht
auf, fortgesetzt befühlte er die Hautfläche, als erprobte
er eine eschatologische Variante der Herzmassage.
»Haben wir Glück?«
Bis zu dieser Sekunde hatte Thomas nicht gemerkt, daß Miriam
neben ihm stand.
Und daß sie nackt war, hatte er ebensowenig
wahrgenommen.
Was ihn am Anblick ihrer Nacktheit erstaunte, war die Fülle
der sichtbaren Einzelheiten, ihre wunderbare Vielseitigkeit: die
blauen Adern, die ihre Brüste wie Spinnennetze
durchästelten, die drahtige Krause des Schamhaars, die
Zyklopenäugigkeit des Nabels, das Tampon-Kördelchen, das
wie eine Zündschnur zwischen ihren Beinen hing. Ihre
Gänsehaut, die Poren, Sommersprossen, Muttermale und Schwielen.
Das war kein Arbeitspferd. Sie war eine Frau.
Also hatte Weisinger die Lage richtig beurteilt. Jeder, auch
Miriam, konnte in Gottes Bugwelle Freiheit finden. »Leider
nicht«, antwortete Thomas voller Nervosität, hob die
Hände aus dem Naß. Ein lautes Gluck entrang sich
seiner Kehle. »Ich fi-finde nichts.«
»In Wirklichkeit treiben wir natürlich nichts anderes
als Gnostizismus«, sagte Miriam, holte gleichfalls ergiebig
Luft. Ihre Kleidung – Montur, Khaki-Arbeitshemd,
Unterwäsche, alles – lag ihr, schon mit Feuchtigkeit
durchtränkt, vor den Füßen. Während sie unsicher
näher trat, ähnelte sie Botticellis aus der Muschel
geborener Venus, einer menschengleichen, ewig begehrenswerten
Delikatesse.
»Stimmt.« Rundum rann Thomas Schweiß am Hals
hinab. Er zerrte sich den feuchten Kragen auf. »Wir
hoffen«, fügte er hinzu, während er das schwarze Hemd
aufknöpfte, »da-daß unsere F-Fracht sich als der
Weltenschöpfer entpuppt.«
»Wir hoffen, daß sie gar nicht Gott ist.«
»Gnostizismus ist
Weitere Kostenlose Bücher