Das Gottesmahl

eine leere Flasche Cutty Sark. »Ich möchte
nicht irgendwie respektlos sein, aber das ist unsere Party.«
    »Nein, Sie sollten diese Scheußlichkeiten
unterlassen!« schnauzte Thomas ihn an.
    »Das haben Sie nicht zu mir gesagt.« Stubby Barnes hob
die Flasche hoch über den Kopf.
    »Nein, Sie sollten sich
zusammenreißen!«
    »Wir können tun, was wir wollen, Mann«, beharrte
Barnes verstockt, schwang die Flasche und ließ sie auf Thomas
zufliegen.
    »Hören Sie auf Ihr angeborenes Gewissen!«
    Die Flasche traf Thomas genau, ein Pfund Glas schmetterte gegen
seine Schläfe. Er spürte noch, daß ihm warmes Blut
übers Gesicht rann, ihn auf den Wangen kitzelte, dann
fühlte er gar nichts mehr.
     
    7. August
    Es wird immer schlimmer. Gestern um 9 Uhr 15 kamen Pater Ockham
und Schwester Miriam an Bord zurückgewankt, der Pater blutete
aus einer schlimmen Kopfwunde. Was sie zu erzählen hatten,
brachte mich echt aus dem Häuschen. Die Meuterer haben
Wheatstone und Jaworski bei einer Art von Arenakampf hingerichtet.
Joe Spicer ist auch tot, weil Vollmatrose Weisinger bei der
Gelegenheit den Spieß umgedreht hat.
    Wenn man mich fragt, Spicer ist es recht geschehen.
    Hast du schon mal Meskal probiert, Popeye? Baut mindestens so gut
auf wie Spinat, das darfst du mir glauben, und betäubt den
Kummer. Aus irgendeinem Grund haben die Lumpenhunde meinen Vorrat
übersehen. Ich habe den Viechern in den drei noch vorhandenen
Pullen Namen gegeben: Kaspar, Melchior und Balthasar – die Drei
Weisen Würmer.
    Natürlich sollte ich lieber nicht trinken. Mein Vater ist
wahrscheinlich ein Alki, irgendwann hatten wir mal eine
übermäßig dem Wein zugeneigte Tante in der Familie,
die das eigene Haus abgefackelt hat, und zudem einen dem Rum
verfallenen Verwandten, der den Briefträger erschoß, weil
er einen Stütze-Scheck mit dem falschen Betrag ablieferte. Aber
was soll’s denn noch, wir leben Anno Postdomini Eins, oder
nicht? In dem Zeitalter, das alles erlaubt.
    Wir haben eine Frist von noch genau zehn Tagen, um den Corpus
Dei in die Arktis zu befördern.
    Gestern abend habe ich die erste der drei restlichen Flaschen
geleert, und wie die Valparaíso geriet Kaspar aufs
Trockene. Danach habe ich ein bißchen durchgedreht, eine
brennende Marlboro in meiner Handfläche ausgedrückt und
ausgiebig gekotzt, und ich bin die Ankerkette hinuntergeturnt und
habe mich im Sand gewälzt. Als ich neben dem Kiel aufwachte, war
ich nüchtern, aber reichlich benommen, und hatte eine
Alu-Suppenkelle im Arm.
    Aufgelesen worden bin ich schließlich von Cassie. Was
für einen elenden Anblick ich mit Rost im Bart und den mit
Meskal durchtränkten Klamotten geboten haben muß. Sie hat
mir dabei geholfen, die Kette hinaufzugelangen, mich in die
Bordküche geführt und mir Aspirin und Kaffee
verabreicht.
    »Ich habe das Schiff nicht auf die Insel laufen lassen«,
erklärte ich, als hätte sie etwas derartiges behauptet.
    »Ganz im Gegenteil, die Insel hat Sie gerammt.«
    »Finden Sie mich abstoßend, Doktor? Rundheraus
ekelhaft? Stinke ich wie ein Gulli?«
    »Nein, aber Sie sollten den Bart abrasieren.«
    »Ich überleg’s mir.«
    »Ich bin seit jeher gegen Bärte.«
    »So?«
    »Es ist, als ob man ’ne Schuhbürste
küßt.«
    Beim Gedanken ans Küssen schwiegen wir für ein
Momentchen. Das Schweigen fiel uns beiden auf.
    »Ich glaube, ich werde verrückt«, habe ich
schließlich gesagt. »Ich wollte uns mit ’ner
Suppenkelle freischaufeln.«
    »Das ist nicht verrückt.«
    »Nicht?«
    »Verrückt wäre es gewesen, ’n Teelöffel
zu nehmen.«
    Danach ließ sie mich, indem sie kokett den Kopf zur Seite
neigte – oder jedenfalls empfand ich es als kokett –, mit
meinem Kater allein.
     
    Als Thomas das leere Amphitheater betrat, erzeugte die Hitze des
Spätnachmittags Luftspiegelungen, die überm blutigen Sand
waberten und flimmerten. Der Gabelstapler stand verlassen in der
südöstlichen Ecke, die rechte Forke war sauber, an der
linken Forke klebte noch Karl Jaworskis Blut.
    Sowohl van Horne wie auch Miriam waren über Thomas’
Absicht, die Meuterer ein zweites Mal aufzusuchen, entsetzt gewesen
– »Lieber Himmel, Tom«, hatte die Nonne gerufen,
»diesmal ermorden sie dich!« –, sein
Pflichtbewußtsein jedoch schrieb ihm nicht nur vor, die Toten
zu bestatten, sondern auch ein weiteres Mal zu versuchen, den
Abgeirrten dahin zu verhelfen, daß sie in ihrem Innern Kants
moralisches Gesetz entdeckten.
    Wie ein Conquistador, der in der Neuen Welt das