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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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rissen die Deckel von
vakuumverpackten Konserven und übergossen sich fröhlich mit
Muschelsuppe, Gemüseeintopf, Bohnen, Schokoladenpudding und
Karamelsoße. Sie leckten sich wechselseitig ab wie
Katzenmütter, die ihren Jungen putzten, und die Reste rannen an
ihren Leibern hinab, versickerten zwischen den Steinplatten.
    Thomas bahnte sich durchs Gewimmel der Gestalten einen Weg zu der
Festtafel. Sein Blick fiel auf das Metallschild am Elektrogenerator:
7500 W 120/140 V GLEICHSTROM VIERTAKTMOTOR
WASSERKÜHLUNG 1800 UMDR. 13,2 PS – das einzige Exponat
in diesem Museum, das von rationalem Diskurs zeugte. Die Musik, als
stürben Kreissägen an Krebs. Er schaltete den CD-Spieler
aus.
    »Was soll denn das?« zeterte Dolores Haycox.
    »Anmachen!« blökte Stubby Barnes.
    »Sie müssen mir unbedingt zuhören!« Thomas
beugte sich über den Colortrak-5000, der momentan Malcolm
McDowell auf die provisorische Leinwand projizierte, während er
einem von Zuckungen geschüttelten Mann die eingefettete Faust in
den Anus preßte, und drückte auf die AUS-Taste.
    »Laß den Film weiterlaufen!«
    »Mach die Musik an!«
    »Beschissener Blödian!«
    »So hört doch auf mich!« schrie Thomas.
    »Wir wollen Verbrannte Erde hören!«
    »Wir möchten Caligula sehen!«
    »Verbrannte Erde!«
    »Caligula!«
    »Ihr mißbraucht den Corpus Dei bloß als
Vorwand«, rief der Priester. »Schopenhauer hat sich
getäuscht. Eine Welt ohne Gott ist keineswegs ipso facto eine Welt ohne Sinn.«
    Die Nahrungsmittel hagelten aus allen Himmelsrichtungen auf ihn
herab – Trommelfeuer aus gekochten Kartoffeln, Salven von
Baguette-Scheibchen und Pampelmusen-Kanonaden brachen über ihn
herein. Eine dicke, rauhe Kokosnuß streifte Thomas’ linke
Wange. Ein Granatapfel traf seine linke Schulter. Eier und Tomaten
platzten auf seinem Brustkasten.
    »Es gibt immer noch Kants moralisches Gesetz!«
    Irgend jemand sorgte dafür, daß Caligula wieder
anlief. Dank der Zungenfertigkeit einer römischen
Senatorengattin verspritzte ein großer, erigierter Perus, der
nicht dem Senator gehörte, milchiges Ejakulat wie ein Vulkan
Lava. Thomas rieb sich die Augen. Der Anblick des Organs und seines
Samenspritzens wollte nicht von ihm weichen, begleitete ihn im Geist
wie ein Blitzlicht-Nachbild, während er die Flucht aus dem
Museum der Widernatürlichkeiten ergriff.
    »Immanuel Kant, wo bist du?« beklagte sich der vom
Verzweifeln bedrohte Priester, beeilte sich durch die Straßen
der Stadt davon. Er langte unters Fermi-Lab-T-Shirt und umklammerte
sein Kruzifix so gewaltsam, als beabsichtigte er Christus und Kreuz
zu einem einzigen Gegenstand zusammenzuquetschen. »Immanuel,
Immanuel, warum hast du uns verlassen?«

 

     
    Durchs beschlagene Fenster der zweimotorigen Cessna sah die
Jan-Mayen-Insel in Oliver Shostaks Augen wie eines seiner absoluten
Lieblingsdinge aus, nämlich wie der weiße
französische Spitzenbüstenhalter, den er Cassie zum
dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte. Den BH-Körbchen
entsprachen zwei annähernd gleiche Landmassen, die untere und
die obere Jan-Mayen-Insel, gebirgige Gegenden, deren Verbindung aus
einer natürlichen Granitbrücke bestand. Oliver nahm das
Fernglas und lenkte den Blick an der Küste der oberen
Jan-Mayen-Insel entlang, bis er den Eylandt-Fjord erspähte, eine
derart wüst zerklüftete Bucht, daß sie an die Folgen
einer mißlungenen Zahnextraktion erinnerte.
    »Da ist es«, rief Oliver ins Motorengebrumm. »Da
ist Point Luck.« Er verwendete den Namen, auf dem Pembroke &
Flume für die Bucht beharrt hatten.
    »Wo?« fragten Barclay Cabot und Winston Hawke
gleichzeitig.
    »Dort hinten im Osten.«
    »Nein, das ist der Eylandt-Fjord«, berichtigte der
Cessna-Pilot, ein vom Wetter gezeichneter Trondheimer namens Oswald
Jorsalafar.
    Nein, dachte Oliver, Point Luck, im Pazifik der geheiligte Winkel
nordwestlich Midways, wo im Juni 1942 drei amerikanische
Flugzeugträger im Hinterhalt gelegen hatten, um die kaiserliche
japanische Marine zu dezimieren.
    Er schwenkte das Fernglas hin und her. Von der Enterprise gab es nichts zu sehen, doch das überraschte ihn nicht. Nur
im Rahmen des günstigsten durch Pembroke & Flume
erarbeiteten Szenarios hätte die Überfahrt von Cape Cod ins
arktische Meer schon geschafft werden können.
Höchstwahrscheinlich schwamm der Flugzeugträger noch
südlich von Grönland.
    Das einzige Flugfeld der Jan-Mayen-Insel lag am Ostrand der
einzigen Siedlung, einen wissenschaftlichen Forschungsstation,

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