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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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aufpflanzte, stieß er den Spaten in den Lehm. Zehn Meter
entfernt ruhte Jaworskis durchbohrter Leichnam im Schatten des
Hermaphroditen-Standbilds und faulte. Dahinter lagen – noch im
Netz – die Überbleibsel Eddie Wheatstones quer auf der
entstellten Leiche Joe Spicers. Seit ihrer Exekution waren kaum
vierundzwanzig Stunden verstrichen, aber die Verwesung war schon in
vollem Gang, belästigte die Nase des Geistlichen mit
aufdringlichem Geruch.
    Thomas leckte sich den Schweiß von der Lippe, packte den
Spaten und machte sich ans Werk. Der Sand, obwohl schwer, ließ
sich leicht wie frischgefallener Schnee aufwerfen, so daß die
Arbeit keine unzumutbare Mühe erforderte – sie verlangte so
wenig Anstrengung, dachte sich Thomas, daß das Freibuddeln der Valparaíso, falls sich auf der Van-Horne-Insel je
wieder die Vernunft durchsetzte, einfacher als vermutet sein mochte.
Eine Stunde später klaffte in der Mitte der Arena ein
Dreiergrab.
    Thomas bettete die Toten hinein, betete für ihre Seelen und
schaufelte das Grab zu.
    Den Spuren zu folgen, die die Deserteure beim Weggang aus dem
Amphitheater hinterlassen hatten, stellte ihn vor kein Problem.
Zigarettenstummel, Bierdosenringe, Weinflaschenkorken, Erdnuß-,
Apfelsinen- und Bananenschalen wiesen die Richtung, in die sie
gewandert waren, und unvermeidlich fühlte sich Thomas an
Hänsel und Gretel erinnert, die Kieselsteine ausgestreut hatten,
um zu ihrem Pantoffelhelden von Vater und der bösen Stiefmutter
heimfinden zu können. Anscheinend war selbst ein gestörtes
Familienleben besser als gar keine Familie.
    Die Verfolgung führte den Pater durch für die Insel
typisches Terrain, nämlich durch Dünen und vorüber an
zahllosen vergammelten Haushaltsgeräten, Unmengen an
fortgeworfenen Zweihundertfünfzigliterfässern sowie Bergen
von Autoreifen, verklumpt wie Haufen riesiger, verkohlter beygel, dieses jüdischen Gebäcks; dann stand er plötzlich
vor der Mauer.
    Sie war hoch, maß vom Fundament bis zu den Zinnen achtzehn
Meter, und aus reinem Marmor, jeder Quader weiß wie Gebein,
erbaut worden. Das Tor wies spinnenhafte Buchstaben auf, die
vergessenen Phoneme einer längst ausgestorbenen Sprache. Thomas
schritt hindurch.
    In der Stadt lärmte Musik: die Klänge von
Elektrogitarren und ultramodernen Synthesizern. Für Thomas
hörte sie sich allerdings weniger wie Musik an, sondern eher wie
die Art von Sirenentönen, mit denen eventuell eine Stadt ihre
Bürger vor anfliegenden Atomraketen warnte. Überall
bedeckte Morast den Boden, zäh und braun hingen Brocken des
Meeresgrunds an Simsen, tränten von Baikonen. Die vom
allgegenwärtigen Nebel umschleierten Tempel, Läden und
Häuser befanden sich in schlechtem Zustand, das Gewicht der
Fluten im Golf von Cádiz hatte die Dächer
eingedrückt, die Fassaden waren von Unterwasserströmungen
abgeschmirgelt worden. Aber trugen ausschließlich
natürliche Vorgänge die Verantwortung für die
Zerstörung, oder hatte Gott auch hier seine Hand im Spiel
gehabt? War dies eine der Städte der Verworfenheit, die
persönlich auszulöschen der Allmächtige sich einst
entschlossen hatte, eine Schwester Babylons, eine Cousine
Gomorras?
    Umringt von kannelierten Säulen, ragte ein ausgedehntes
öffentliches Gebäude vor dem Geistlichen in die Höhe,
die bronzenen Flügel des Portals waren verziert mit
Flachreliefdarstellungen der vier obersten Inselgötter. Thomas
erstieg die Freitreppe, betrat das gewölbte Foyer und strebte
durch den mit einem Schlickteppich ausgelegten Korridor, der sich
dahinter erstreckte. Die inzwischen lauter hörbare Musik
überreizte sein Gehirn. Während er die Räume
beiderseits des Korridors passierte, war ihm zumute, als streifte er
durch eines der klassischen Museen, durch die überkandidelte
Eltern gern ihre Sprößlinge lotsten, obgleich sich die
Exponate ausschließlich für Erwachsene eigneten. Einer der
Räume war einmal, ließ sich aus den Mosaiken ableiten,
eine Opiumhöhle gewesen; eine Kammer, geschmückt mit
erotischer Fresken – vorsintflutlichen surrogatären
Illusionsbildungshilfen –, wohl ein Masturbantentreffpunkt;
ferner gab es Räume für Päderasten, für Zoophile,
für Nekrophile und Inzestuöse, auch Zimmer für
Sadomasochisten. Obsession reihte sich in diesem Museum der
Widernatürlichkeiten an Obsession, Perversion an Perversion.
    Der Korridor verlief um eine Ecke und mündete in einen
gepflasterten, mit luftigen Arkaden gesäumten Innenhof, in dem
sich,

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