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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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überwiegend splitternackt, die Deserteure der Valparaíso tummelten. Was für ein erstaunliches
Spektrum an Hauttönen, dachte Thomas: alle nur möglichen
Elfenbein-, Rosa-, Bronze-, Safran-, Braun-, Flachshell-,
Schwarzbraun-, Kakao-, Rotbraun-, Ocker-, Dunkelbraun- und
Ahornzuckerschattierungen. Es sah aus, als betrachtete er ein
Vorratsglas voller verschiedenartigster Nüsse oder würfe
einen Blick in einen Kasten Buntstifte. Viele Seeleute hatten sich
bemalt, mit dem Saft zerquetschter Beeren gewellte Pfeile und
eingerollte Schlangen auf den Körper geschmiert, die Brühe
rann ihnen wie blauroter Schweiß an den Gliedmaßen hinab.
Von Mauer zu Mauer tobte ein kaum entwirrbares Durcheinander aus
Fete, Bacchanal, Orgie, Keilerei und Disco-Veranstaltung, in dem
etliche Beteiligten alle fünf Möglichkeiten – Saufen,
Fressen, Unzucht, Prügeln, Tanzen – gleichzeitig
wahrnahmen. Marijuanaqualm vermischte sich mit dem Nebel.
Partyleuchten durchstrahlten den Dunst. Längs der südlichen
Arkade duellierten sich Ralph Mungo und James Schreiender Falke mit
den von der Wand der Offiziersmesse entwendeten Paradesäbeln,
und nur ein paar Meter von ihnen entfernt bildeten acht Männer
einen Kreis, in dem einer im anderen stak, ein Karussell der
Pedicatio. Zerbeulte Bierbüchsen und leere Getränkeflaschen
übersäten den Boden. Aberdutzende benutzter Kondome lagen
wie eine Plattwürmer-Invasion herum – eine Tatsache, aus
der Thomas ein gewisses Maß an Hoffnung schöpfte: Wenn die
Feiernden noch hinlänglich bei Verstand waren, um wegen
Schwangerschaft und AIDS besorgt zu sein, dann vielleicht auch
einsichtig genug, um Gedanken über den Kategorischen Imperativ
anzustellen. Arme wiegten sich, Hüften schwenkten, Brüste
schaukelten, Schwengel wippten – die sybaritische Aerobic des
Anno Postdomini Eins.
    »Na heda, Tommy…!« Neil Weisinger schwankte auf
Thomas zu, im Mund einen unangezündeten Sargnagel, rupfte
unterwegs genüßlich ein Brathähnchen entzwei. »Sie hab ich hier«, lallte er trunken, »ja nich
erwartet.«
    »Diese Musik…«
    »Das is die schwedische Band Verbrannte Erde. Die Scheibe
heeßt Chemotherapie. Se sollten se mal auf der Biehne
erleben, da machen se Eingeweideschau.«
    Als Mittelpunkt des Innenhofs stand eine vor Zeiten blankpoliert
gewesene Festtafel aus Obsidian; jetzt hatte man darauf nicht nur
vier enorme Schinken und zwei Rinderhälften bereitgelegt,
sondern zudem einen Diesel-Stromgenerator, einen CD-Spieler und einen
RCA-Colortrak-5000-Videoprojektor plaziert, der unzüchtige
Bilder auf ein weißes Bettlaken strahlte, das wie ein Gespenst
am nördlichen Säulengang hing. Thomas hatte Bob Gucciones
berüchtigten Film Caligula nie gesehen, mutmaßte
jedoch, daß es dieses Machwerk sein mußte. Die Kamera
fuhr übers Hauptdeck einer römischen Trireme, auf der sich
so gut wie jeder der sexuellen Ausschweifung hingab.
    »Mächtig was los hier, hä?« fragte Weisinger,
fuchtelte mit einer Hälfte des Brathähnchens vor
Thomas’ Gesicht. Die Luft roch nach Sperma, Tabak, Alkohol,
Erbrochenem und Haschisch. »Wolln Se was essen?«
    »Nein.«
    »Essen Se doch was.«
    »Ich habe nein gesagt.«
    Der junge Seemann hielt ihm eine Flasche Löwenbräu vor
die Augen. »Bier?«
    »Neil, ich habe Ihnen am Dienstag in dem Amphitheater
zuschauen müssen.«
    »Ich hab’s Spicer echt gegehm, was? Ihn erwischt wie
’n wackrer goische Cowboy ’n Schtier.«
    »Eine unmoralische Handlung, Neil. Sagen Sie mir, ob Sie es
einsehen.«
    »Man könnt meinen, das is ’ne ganz normale
Löwenbräu-Flasch«, sagte Weisinger, »aber in
Wahrheit isses was viel, viel Tolleres. Wurd gestern
angeschpült. Mit ’ner Nachricht drin. Frahn Se, welche
Nachricht.«
    »Neil…«
    »Los, frahn Se.«
    »Welcher Nachricht?«
    »›Du solls Götter nach Lust und Laun hahm‹,
stund drauf. ›Du solls begehrn deins Nächsten Weib.‹
Sinn Se sicher, daß Se kein Bier wolln?«
    »Ja.«
    »›Du solls dein Nachbar in’n Arsch
ficken.‹«
    Wohin Thomas auch blickte, verschwendete man in
beträchtlichem Umfang Lebensmittel. Auf Treibholz-Feuern standen
große Kessel, in denen unbeachtet ganze Räder von Cheddar,
Münster-Käse und Schweizer Käse zu unverdaulichem Brei
zerschmolzen. Fünf Maschinisten und fünf Leute der
Decksbesatzung bewarfen sich gegenseitig mit rohen Eiern und hatten
dafür anscheinend den gesamten Eiervorrat der Valparaíso zur Verfügung. Charlie Horrocks, Isabel
Bostwick, Bud Ramsey und Juanita Torres

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