Das Gottesmahl
die
größenwahnsinnigerweise den Namen Ibsen City trug. Als die
Cessna landete, verursachte der Propellerwind einen wahren Tornado
aus Schnee, Eis, Vulkanasche und leeren Frydenlund-Bierflaschen.
Oliver bezahlte Jorsalafar, fügte einen großzügigen
Bonus hinzu und machte sich mit dem Medienstar und dem Marxisten auf
den kalten Weg nach Westen.
Im fahlen Licht der Mitternachtssonne offenbarte sich Ibsen City
als Ansammlung rostiger Nissenhütten und verkommener
Holzhäuser, alle auf einer Kiesschicht errichtet, damit sie
nicht im trügerischen Dauerfrostboden einsanken. Sobald Oliver,
Cabot und Hawke das Zentrum erreicht hatten, strebten sie zum
Hedda-Gabler-Hotel, eine mit Zwischenstockwerken konstruierte
Absteige, die man einem Lokal aufgesetzt hatte, das sich in einem
ehemaligen Flugzeughangar aus zerfressenem Aluminium befand. Im
Fenster der Gaststätte blinkte, ein Leuchtzeichen inmitten der
Tundra, ein Neontext: ZUM RUSSISCHEN BÄREN.
Der Inhaber dieser Kaschemme, Wladimir Panschin, ein Exilrusse mit
dem derben, bodenständigen Aussehen eines breughelschen Bauern,
glaubte den Atheisten die Behauptung nicht, snobistische Jet-Setter
auf der Suche nach entlegenen, aufregenden Orten zu sein, von denen
die Reisebüros nichts ahnten. (»Wer Ihnen eingeredet hat,
die Jan-Mayen-Insel wäre aufregend«, sagte Panschin,
»dem geht wohl schon vom Zähneputzen einer ab.«) Doch
letzten Endes blieb sein Argwohn belanglos. Es stellte ihn mehr als
zufrieden, den Atheisten ein Zimmer zu vermieten sowie ihnen ein
halbes Pfund Gouda (fünf US-Dollar), fünf Liter
Rentiermilch (sechs Dollar) und ein Dutzend Stücke
Karibu-Dörrfleisch (je ein Dollar) zu verkaufen, die sie
für den am nächsten Tag geplanten Ausflug brauchten.
Am Abend schlief Oliver schlecht ein – Winston Hawkes
zyklonisches Schnarchen und die Mühsal, überteures
Schneehuhn-Ragout verdauen zu müssen, beeinträchtigten sein
Einschlafvermögen – und wurde am folgenden Morgen erst dank
des stärksten im Hotel Gabler erhältlichen Kaffees richtig
wach. Um 8 Uhr morgens Ortszeit verließen die Atheisten die
Siedlung und wanderten hinaus in die unwegsame Tundra.
Nach einer Stunde Marsch legten sie eine Essenspause ein,
veranstalteten auf dem schmalen Felsgrat, der den Weg zur Oberinsel
wies, ein Picknick. Der Käse war schimmelig, die Milch sauer,
das Dörrfleisch hart und zäh. Unwillkürlich ging
Oliver das Bild durch den Kopf, wie Anthony van Hornes Fracht diese
Landenge schuf: Titanische Hände senkten sich vom Himmel herab,
quetschten die Insel in der Mitte ein. Die Vorstellung verstörte
und deprimierte Oliver. Was täten wohl, fragte er sich, die
Forscher in Ibsen City, erführen sie, daß ihre
ausgefeilten Theorien hinsichtlich der Erdentstehung und
Plattentektonik als im Prinzip haltlos gelten konnten? Wie mochten
sie reagieren, müßten sie sich damit abfinden, daß
ausgerechnet göttliches Schöpfertum die wahre Lösung aller geomorphen Rätsel konstituierte?
Beim Hinüberwechseln zur Oberinsel folgten die drei
Männer einem mit Bimsstein bedeckten Höhenzug durch die
Vorhügel der Carolus-Berge; diesen Abschnitt der Wanderung hatte
aufgrund außergewöhnlich farbenprächtiger
Nordlicht-Phänomene einen gewissen Unterhaltungswert. Hätte
Oliver seine Malerausstattung dabei gehabt, wäre er in
Versuchung geraten, die Leuchterscheinungen zu malen, sich
bemüht, die durchsichtigen Schleier, ätherischen Strudel
und das unheimliche, rötliche Geflacker mit Pinsel und Farben
auf einer Leinwand festzuhalten.
Zu guter Letzt erstreckte sich vor ihnen der Eylandt-Fjord, eine
glatte Fläche stahlblauen Wassers, auf dem in
unregelmäßiger Verteilung Riesenbrocken von Packeis
trieben. Oliver hatte lediglich eine Befürchtung, nämlich
daß sich die Enterprise verspätete und sie in der
Tundra kampieren mußten; infolgedessen besserte sich seine
Stimmung erheblich, sobald er sie, vier PBY-Flugboote am Heck
vertäut, im Fjord vor Anker liegen sah. Allerdings währte
die Freude nur kurz. Der Flugzeugträger wirkte klein, alt und
wenig eindrucksvoll. Er war klein, Oliver wußte es: halb
so groß wie die Valparaíso, zwanzigmal kleiner
als Gott. Die fünf Dutzend Kampfflugzeuge, die auf dem Flugdeck
aufgereiht standen, erweckten nicht den Eindruck, der Aufgabe auch
nur im mindesten gewachsen zu sein.
Barclay Cabot bediente den tragbaren Optiktelegrafen, blinkte
elektrisches Licht über den Fjord: G-O-T-T-H-E-I-T, die
Tarnbezeichnung für ihre Aktion.
Die
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